Texte und Dichter

Gespräche bei Wein, Weib und Gesang
Wilhelm von Baumgarten
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Texte und Dichter

Beitrag von Wilhelm von Baumgarten » Mo Jun 20, 2016 9:57 am

Ich möchte hier in Zukunft mittelalterliche Texte und (wenn verfügbar) Informationen über deren Schöpfer posten.
Daran könnt ihr euch natürlich beteiligen - wenn es euch interessiert. Sonst ist es halt nur ein Zeitvertreib für mich.
[img]http://primanocte.at/jmo/images/stories/doomis_lustige_spieleecke/pn-signatur_vorstand3.gif[/img]

Wilhelm von Baumgarten
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Re: Texte und Dichter

Beitrag von Wilhelm von Baumgarten » Mo Jun 20, 2016 10:18 am

Heinrich von Melk(um 1150)

Von des todes gehugede

Nu gedench aber mensch din todes
nach den worten des herren Jobes;
der sprichet: "churz sint mine tage,
min leben nahet zu dem grabe",
des ouch anderswa ist gehugende:
"gedench dines schephares in der jugende,
e dich diu zit behave,
daz dir din ungemach nahe,
unt e din stoupwerde
wider zuo der erde";
dem ouch diu wort gelich sint:
"min leben ist sam ein wint,
sam ein wazzer, daz da hin strichet,
ichbin der aschen gelichet,
min ebenmazze ich mische
ze dem aschen unt ze dem valwische";
daz ist ein swaerer trost, der hie schillet;
dem ouch ein ander wissag gehillet:
er sprichet:"min leben ist staete so daz gras,
daz hiute dorret und gestern grun was."
da bi chieset wisen man,
der sines todes niht vergezzen chan.
ouch manet uns Salomones scrift;
er sprichet:"sun nu vergiz nicht
diner junigsten stunde:
so lebestu immer ane sunde."
we im, der sine heile unt sin bichte gespart
an sin junigste hinvart !


gehugede = Gedanken, Erinnerung
(be)vahen = fangen
ebenmazze = Ebenbild
valwische = Flugasche, Aschenstaub
schillet = durchscheinen
gehillet = verhüllt
chieset = gekürt, erwählt
junigste stunde = letzte Stunde, Todesstunde
junigste hinvart = letzte Fahrt, letzter Weg, Tod
[img]http://primanocte.at/jmo/images/stories/doomis_lustige_spieleecke/pn-signatur_vorstand3.gif[/img]

Wilhelm von Baumgarten
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Re: Texte und Dichter

Beitrag von Wilhelm von Baumgarten » Mo Jun 20, 2016 10:22 am

Der Autor von „Von des tôdes gehugede“ nennt sich Heinrich und bezeichnet sich als armen kneht („Diener“) Gottes und nennt seinen Abt Erkenfried. Obwohl es im 12. Jahrhundert viele Heinriche und mehr als einen Abt Erkenfried gab, kommt wahrscheinlich nur Erkenfried von Melk (bis 1163) in Frage. Heinrich war daher ein Kleriker oder Mönch oder Laienbruder, der Mitte des 12. Jahrhunderts vermutlich im Klosterstift Melk in Niederösterreich lebte.

Seine satirisch gefärbten Werke stellen einen Höhepunkt des asketischen Schrifttums seiner Zeit dar. Überliefert sind von ihm zwei frühmittelhochdeutsche Reimdichtungen: „Von des tôdes gehugede“ (wörtlich: „Vom Denken an den Tod“; ein Versuch, das lateinische Memento mori zu übersetzen) gehört der memento-mori-Dichtung an. Der Sittenspiegel Vom Priesterleben gilt als bedeutendes kulturhistorisches Dokument. Die einzige Handschrift mit diesen Texten, der Codex Vindobonensis 2696, ist um 1300 geschrieben worden.

Zur Datierung des frühen Minnesangs benutzt werden gerne die Verse 610ff. von Von des tôdes gehugede, die an die Witwe eines Ritters gerichtet sind, die vor seiner Leiche steht:

nû sich, in wie getâner heite
diu zunge lige in sînem munde,
dâ mit er diu troutliet kunde
behagenlîchen singen

Übersetzung: „Nun sieh, auf welche Weise die Zunge in seinem Munde liegt, mit der er die Liebeslieder behaglich singen konnte“.

Da über diese Liebeslieder sonst nichts gesagt wird, als dass sie ins ewige Verderben führen können, kann kein bestimmter Minnesänger dadurch datiert werden; insbesondere nicht der Kürenberger. Es kann anonyme, volkstümliche Lyrik gemeint sein.
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Wilhelm von Baumgarten
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Re: Texte und Dichter

Beitrag von Wilhelm von Baumgarten » Do Jun 23, 2016 12:29 pm

Das Priesterleben

1 daz sîn êwiger gerich
2 uber siu muoz ergên
3 die sich nicht wellent enstên
4 des der gotes sun gesprochen hât,
5 der sicherlîchen zergên lât
6 den himel unt die erden
7 ze dingen unwerden,
8 ê sîniu wort immer geswachet werden.


9 Owê, getorst ich des gewähenen
10 daz nû bisiuften unt biträhenen
11 solden alle die die christen sint!
12 die uns dâ lêrent, die sint blint;
13 ir ougen diu sint âne lieht;
14 si hânt munt unt sprechent niht
15 — wir hoeren enhein horen von in schellen —;
16 si sint hunde die nicht mugen bellen;
17 als unser hêrre sprichet in Ezechiêle:
18 "ich hân geschaffet mînem liute Israhêle
19 "dich, menschen sun, ze einem wartman:
20 "ûf die hôhe soltuo stân
21 "mit huote ze allen cîten;
22 "swenne dû die vîent sehest rîten
23 "gegen mînem lande
24 "mit roube unt mit brande,
25 "sô blâs dîn herhorn
26 "unt spriche "swer sîn nicht hûtet, der ist verlorn!"
27 "die vîent rîtent allenthalben zuo,
28 "dû sage mînem liute wie ez tuo:
29 "daz si vechten oder vliehen,
30 "ê siu die vîent umbeciehen!
31 "der sich nâch dem râte nicht enwert,
32 "wirt er erslagen oder verhert,
33 "des tôt gestêt uber in selben.
34 "wil aber dû die vîant nicht vermelden
35 "unt wil bôslîchen verzagen,
36 "die danne under mînem liute werdent erslagen,
37 "der sêle mûstû mir gelten!
38 owê, läider wie selten
39 die phaffen stênt an der warte!
40 si furhtent in ce harte:
41 die vîent fûrent in diu lant
42 mit blûtiger hant
43 diu scharfen swert alsô bar.
44 daz sint die tievellîchen schar,
45 mit lâge si uns bistellent,
46 si slahent alle die si wellent,
47 von diu daz diu rechten horn nuo
48 sô selten schellent uns zuo.
49 jâriâ, waz sol sîn werden?
50 wie getar er sich verpergen,
51 mîn unt mînes trehtînes gischol,
52 in dehäinem irdischem hol
53 sam in den tieffen luppellen?
54 ich mäine die mouchelcellen
55 dâ si sich inne mestent!
56 sô die liut die vîent chestent,
57 sie ziehent sich ûz dem gitraebe.
58 der in allez daz gaebe
59 des si in erdenchen mähten,
60 sô waere der bouch wol ir trechtîn.
61 nâch dem michel geraete unt nâch dem wîne
62 sô ist in dem innern chämerlîne
63 wir wizzen wol waz ez sî:
64 ez lît in diche nâhen bî.
65 ich waene die phaffen unt die nunnen
66 ein gemäinez bîwort chunnen,
67 daz si sprechent "post pirum vinum;
68 nâch dem wîne hoert daz bibelinum! —
69 "tuot ûf!" "wer ist dâ?
70 "daz ist ein gast unt bitet daz man in în lâ."
71 dem antwurtet man etwaz säine;
72 er sprichet "mîn hêrre ist nicht hie häime
73 oder er sprichet "er ist siech:
74 sô hât in läider in sîn diech
75 diu chamerfrowe getwenget.
76 sô muoz disem sîn vart werden gelenget.
77 "wan tuot ir ûf?" sprichet der gast
78 "ich sich einen hêrlîchen glast
79 "ûf des wirtes chemnâten;
80 "dô mocht mich got wol berâten!"
81 sô sprichet aber ein ander:
82 "guot man, wane gânder?
83 "jâ chlaffet er ze ummâzzen!
84 "mîn hêrre hât an der âder lâzen
85 "unt wil nû sîn gemach haben!
86 mit sô getânem entsagen
87 gebent si minner noch mêre,
88 durch got noch durch êre.
89 sô tuot der wegemûde gast ein riwige dannechêre.


90 Chumt im der arme
91 mit michelme harme
92 unsouber unt swarcer;
92a ............... halzer;
93 chumt im der blinde unt der chrumbe,
94 er sprichet ze gelîcher wîs dar umbe.
95 chumt im dar nâch sîn housgenôz,
96 sô wirt diu wirtschaft vil grôz;
97 si achtent niewan ûf die sete;
98 man schenchet in wîn unt mete;
99 dâ sicht man becher räichen
100 ûf bölstern vil wäichen
101 unt maniges spiles biginnen;
102 dar nâch redent si von minnen
103 — dâ von hoerent si vil schrîben! —:
104 "mit wol getânen wîben
105 "sol niemen spilen wan phaffen!
106 "wir wellen unser dinc schaffen,
107 "ir läien, ir sult ûz gân!
108 sô ist einer horenblâsen gitân
109 die unser hêrre ûf der warte häizzet stân
110 unt sîner lêre nâch gân!


111 Gotes wuochraere,
112 häilige lêraere
113 unt vater gäistlîche,
114 den machet iuch nicht gelîche,
115 daz der gotes wîssage
116 von iu icht ce sprechen habe:
117 "daz viech ist erfoult in sînem miste;
118 ich mäin von der swîen mitwiste.
119 jâ sult ir siu von iu vertrîben,
120 lât siu bî iu nicht belîben
121 ezn waere diu muoter oder diu swester;
122 die hêt er âne laster,
123 dâ enwurde iwer guot an erchant.
124 unt swie si anders sî ginant,
125 dâ schadet diu wânsippe mit boesem liste,
126 daz daz viech lîcht foult in sînem miste.
127 ir sît läien spîgelglas,
128 ir lûcerne unt ir liehtvaz;
129 in iu ersehent si sich alle,
130 waz in an in selben missevalle.
131 sît ir danne vinster unt trûbe,
132 sô läitet der blinde den blinden in die grûbe.
133 diu grûbe ist diu lelle;
134 des aber got nicht enwelle,
135 daz iwer einer sich oder ander iemen dar în velle!


136 Salomôn hât gesprochen
137 — dar zuo si von recht sint gelochen,
138 an im selben er daz wol erchennen chan —,
139 daz "wîn und wîp machent unwîsen man
140 "der got lîchte wirt abtrunne.
141 wer ist der der daz bedenchen chunne?
142 von im selbem er daz gesprochen hât;
143 er het ouch allen den rât
144 den disiu werlt ie getrûch
145 — er het ouch wîshäit genûch —,
146 den er vil ubel an im selbem erzäigte,
147 dô er dem tîvel sîn houbet näigte:
148 nâch grôzzer unfuore
149 unt nâch ummaezlîchem huore,
150 daz vil ungeloubich waere
151 unt gar unsagbaere
152 wan daz wirz an der schrift vinden,
153 wie möcht er sô erblinden,
154 daz er anbette diu abgot!
155 ez möchten die tîvel ir spot
156 wol haben von sîner wîshäit,
157 die sîne menschlîch degenhäit
158 sô gar an im ertoeten,
159 daz in diu wîp des noeten
160 daz er sînen schephaere verlie
161 unt dem tîvel brouchte sîne chnie.
162 owê, daz solhe schulde an im ie ergie,


163 Swenne si mit sô gitâner rede
164 sô verre staphent ûz dem wege
165 unt si die läien an grîffent,
166 ûz den handen si in slîffent
167 als der âl bî dem zagele;
168 mit dem à‚dâmes schermwadele
169 wellent si ir scham bedechen.
170 si durfen uns die rede nicht smechen
171 dâ mit got sîner wârhäit wurde biroubet:
172 si sprechent, diu wîp hab in sant Paulus erloubet.
173 dâ er den läien umb êlîch hîrât hât gesprochen,
174 dâ hât er die phaffen nicht în gelochen.
175 sant Paulus sprichet, bezzer sî gehîen danne brinnen.
176 si mugen sprechen, bezzer sî toben danne winnen.
177 unt ist doch îtwederz guot.
178 der mir mit zwäin dingen ubel tuot,
179 die besme ich lîchter vertrûge
180 denne der mich mit chnuteln sluoge,
181 unt tuot mir doch ir îtwederz wol.
182 si waschent sih als diu swîn ûz dem sol
183 unt trûbent den liuteren brunnen.
184 des in die läien nicht geantwurten chunnen,
185 des sulen si die aber staben
186 die ouch diu buoch gilesen haben.
187 die rede habet gevestet mit orthaben:


188 Paulus sprichet, bezzer sî gehîen denne brinnen.
189 der rede sulen si sich versinnen
190 wen er dâ mit mäine.
191 er mäinte dehäin minne wan die eine!
192 den got dar zuo geordent hât,
193 daz er mit êlîcher hîrât
194 muge chomen ce sîner rechten ê,
195 des waen die phaffen nicht bestê!
196 wes merchent si nicht den vordern sin?
197 dâ er sprichet "ich wolte alle liute wesen als ih bin
198 — zwâr er was ein räine maget! —.
199 "ouch sî den witwen gesaget
200 "unt den ungehîten wîben,
201 "wellent si gar unbewollen belîben
202 "als ich bin, daz waer in guot.
203 "swelh aber des niht tuot,
204 "daz ist nicht wider dem gibot,
205 "wil dû êlîchen gehîen in got.
206 dâ er sprichet, bezzer sî gehîen danne brinnen,
207 immer muoz er dehaein genâde gewinnen
208 die sprechent, daz dirre orthabe
209 in daz huor erloubet habe.
210 ezn wart nie niemen läider danne im,
211 als ih an sîner rede dâ vor vernim
212 dâ er sprichet "daz huor daz ist iu nicht guot.
213 "wan alle die sunt die der mensch tuot
214 "diu ist ûzzerhalp des lîbes;
215 "swenne er des boesen wîbes
216 "gemäine wil diche gewinnen,
217 "der unräinet den lîp innen;
218 von diu suln die phaffen weder gehîen noh brinnen.
219 Ir recht wil ich fur bringen:
220 si solten den lîp twingen
221 mit vasten unt mit wachen
222 unt mit andern gäistlîchen sachen;
223 der almuosen si dâ ezzent,
224 swenne si der vergezzent,
225 entriwen daz wirt in vil unsour,
226 doch nimt siu läider vil untour!
227 si chuchent ir fiwer ce allen cîten:
228 si wellent dem vläisch niht widerstrîten,
229 daz iz sô diche icht ergluo.
230 sich zwäient mûzzechäit unt muo
231 unt singent nicht eine wîse:
232 wol getrinchen nâch guoter spîse
233 fûret die chiusche väile;
234 ouch deret des boumes gäile
235 in dem sumer der chalt rîffe.
236 wie zebrach des häiligen gäistes phiffe
237 die suozen Dâvîdes säiten!
238 dô nâch manigen arbäiten
239 got sîne muo gesazte
240 — des er in sît wol ergazte —,
241 dô mûs er brinnen unt gehîen:
242 er hiez sînen lieben man Urîen
243 umb sîn schône wîp slahen. —
244 er mac des vläisches gierde undervâhen
245 daz alle cît ist mit vollen
246 — ez muoz diche werden unbewollen —,
247 zwâre der lîp wil hân,
248 der muoz ouch lîbes abe gistân;
249 daz sult ir umb die werlt unt umb daz himelrîch verstân!


.....................


250 die sint mir darzuo nicht häimlîch;
251 ich wirde sîn ouch nimmer einlîch,
252 daz ih siu mit solhen dingen cîhe.
253 iedoch swer inderthalp der wîhe
254 den wîben tar grîffen under die wât
255 dâ sîn hant nicht ce tuonen hât,
256 mit der stôl! unt mit dem hantvanen!
257 — wir hoeren uns die schrifft manen! —;
258 swen wîbes chussen dunche sûzze,
259 doch er Christes bilde enbor wol grûzze
260 sô er daz paeze dar ab gît:
261 verflûchet sî diu wîl unt diu cît,
262 daz der mit wîben wil walgen
263 der an dem gotes galgen
264 mit ûff gerachten handen stêt,
265 als man sich an sînem bilde wol verstêt
266 daz er sich von rechte chriucet gegen got.
267 ein gehîter läie ist in dem gibot,
268 wil er dem gotes tische gemäinen,
269 daz er sich ê sol räinen
270 mit sîner chiusche wol fumf tage
271 unt als manigen dar nâch, ob iz vertrage
272 dennoch got mit sînen genâden.
273 ich enmac dehäine nacht aber ervrâgen
274 diu dem brîster dar zuo tuge,
275 daz sînem lîbe volciehen muge,
276 ob er in der wochen ze einem mâl solde singen,
277 daz ampt fur bringen
278 dâ er dem vater ophert sînen suon.
279 dâ mûzzen sich die himel ouf tuon,
280 elliu englische hêrschaft
281 ist dâ gegenwurtic unt diensthaft.
282 man bigêt nicht solhes ouf der erde
283 daz dar zuo immer geebenmâzet werde.
284 swie harte si dar gâhen,
285 daz si in unwirdichlîchen enphâhen
286 ir urchunde lesent si dâ bî
287 in epistola Pauli:
288 er naem ein urtäile
289 ze dem êwigem unhäile!
290 diu urtäile ist der sêle tôt.
291 daz ist ein groezlîchiu nôt:
292 daz uns allen solde geben
293 in got daz êwige leben,
294 daz si den tôt dâ mit arnent.
295 dar zuo solten si sîn gewarnet
296 mit wârer bûze, mit rechten riwen.
297 sô weste ouch wol entriuwen
298 ir vil grôz armechäit
299 unt chêrt dar sîne barmchäit
300 nâch ginâden unser trehtîn
301 unt hulf in swâ si selbe nîne mächtin.
302 nû verdampne wir alle Jûdam
303 durch daz er die phenninge nam
304 unt verchoufet sînen hêrren;
305 nû wie welle wir sumlîch êren
306 die sich solher tât hânt gevlizzen
307 unt gênt mit unräiner gewizzen
308 ze sînem tische vil nâch alle tage?
309 nû hoeret waz der gotes sun uber die chlage,
310 dâ er ir verdampnunge mit bistaetet:
311 "sîn hant diu mich verraetet
312 "diu ist mit mir ob mînem tische!
313 ich waene diu rede sumlîch icht verwische
314 die Jûdas werch noch bigênt
315 unt sich der rede nicht verstênt.
316 als wir Bedam hoeren jehen
317 unt noch hiute mugen sehen
318 an sîner sûzzen lêre:
319 den ir laster liebet mêre
320 unt mit unrecht guot gewinnent
321 unt boese gelust sêre minnent
322 unt die werlt nicht mugen verlân
323 unt unredlîch vor got wellent stân,
324 die habent selbe die urtäil uber sih gitân.


325 Bêda sprichet disiu wort,
326 daz unser hêrre, der obriste êwart,
327 sîn selbes lîchnamen dâ segene
328 unt er chlage her nâch der himelischen menige
329 unt allen sînen dienstman
330 uber den briester der în dan
331 handelt anders denne er solde.
332 der halt in dem louterm golde
333 sînem hêrren zezzen trûge
334 unt die hende nicht entwûge,
335 swie schoene waer daz goltvaz,
336 im leident doch lîchte diu maz!
337 der unsouber dienstman
338 dirre rede gimerchen chan:
339 "sundet ein mensch wider den andern,
340 "daz mag er lîchte verwandelen
341 — als wir den wîssagen hoeren lêren —;
342 "swer wider den obristen hêrren
343 "alsô grôz mäin bigât,
344 "wie sol des immer werden rât,
345 ern bechêr sich etwenne
346 unt lebe mit gewârhäit denne.
347 wê dir, armchlîchiu gotes gischaft,
348 uber die dîn schephaere wirt chlaghaft
349 allem himelischem gedigene!
350 dâ geschaeh dir nimmer umbe ce ligene
351 vor got in sînen tougen,
352 im zerbieten mit wäinunden ougen
353 dîner riwen widerwaege,
354 untz er dir dîne schulde vergaebe.
355 wê im dem er itwîzzet:
356 "sîn hant des mit mir izzet
357 "diu ist diu mich verchouffen wil!
358 der rede dunchet siu nicht ce vil
359 die hiut chouffent unt verchouffent
360 unt durch miete touffent
361 unt den schatz nement von der erde,
362 daz des tôten bivilde werde
363 deste vlîzchlîcher bigangen,
364 mit Jûdâ, dem verflûchtem manne
365 in dem êwigem gotes panne,
366 nû sehet wie si gevaren danne!
367 Nû spreche wir ouch die läien ane
368 — daz ist recht daz man siu mane,
369 wan sumlîchen niemen wert —:
370 swenne der brîster sô sêre missevert,
371 sô sprechent si, sîn misse sî unräine.
372 daz ist ein groezlîchiu mäine;
373 waere daz siz gelouben wolten,
374 got selben haben si bescholten!
375 wer waer der got getöchte,
376 den dehäin armer mensch möchte
377 geboesern oder gibezzern an sînem leben;
378 sône waer dehäin chrafft an sînen geben!
379 nû welle wir iuch manen:
380 die toufe unt gotes lîchnamen
381 machet nicht wan der segen!
382 wir sulen nicht vorschen umb sîn leben
383 der daz ampt dâ fur bringet;
384 swâ in ein sîn schulde twinget,
385 daz ist sîn selbes urtäile;
386 swaz aber ze dem êwigem häile
387 genâden uns dâ von chomen sol,
388 daz ist als staete unt als wol
389 von dem ubelen sam von dem besten!
390 wer sol den gelouben vesten
391 wan diu tugent diu von den worten chumt;
392 der häilige gäist iz allez volfrumt
393 mit den chrefften des vaters unt des suns;
394 sô wont sîn genâde in uns unt ob uns!
395 ob ir iuch der rede wellet enstân
396 als ich iu dâ vor gesaget hân:
397 swâ daz gotes wort unt diu giwîhte hant
398 wurchent ob dem gotes tische ensant,
399 dâ wirt gotes lîchname in der misse
400 von einem suntaere sô giwisse
401 sam von dem häiligistem man
402 der brîsters namen ie gewan.
403 ob sant Pêter dâ engegenwurtic waere
404 oder der ermiste suntaere
405 der âne bluotige hant
406 ze briester ie wart erchant,
407 ir eines leben noch des andern
408 mac die gotes genâde nicht verwandelen.
409 wir wellen iu die rede underschäiden:
410 touft ein jude oder ein häiden
411 in dem namen der drîvalte,
412 dâ worcht got mit sînem gewalte
413 daz diu toufe nimmer wirt verandert
414 unt diu chraff der wort nimmer verwandelt.
415 umb die misse ez anders stât:
416 swelh phaffe der wîhe nîne hât
417 — des muozzen si selben jehen —,
418 dâne mag im der chreftigen dinge niht geschehen,
419 daz sich daz brôt under sînen handen
420 in unsers hêrren lîchnamen muge verwandelen.
421 von diu solt uns sîn wîhe sîn gewizzenlîch,
422 sô waere sîn ampt nicht ungewislîch.
423 des aber die urchunde gebent
424 die under den phaffen der mäisterscheft phlegent,
425 daz megen die läien wol vertragen,
426 wan si sîn anders chunde nicht mugen haben.
427 daz ist daz täglîch brôt des wir biten:
428 swenne wir nâch christenlîchen siten
429 dehäin misse hoeren singen,
430 sô solt wir sîn in dem gedingen,
431 daz wir ze ieglîcher stunde,
432 doch wir in nicht enphâhen mit dem munde,
433 sin täilnumftic werden an der sêle.
434 daz waer entriwen sant Michahêle
435 der der obrist engel vor got ist
436 vorchlîch ce handeln, wizze Christ
437 ichn enwäiz wie harte
438 die gotes êwarte
439 ir recht geturren brechen
440 oder — wil ich recht sprechen —
441 die läider sô ir sunde erblendent,
442 daz si ûf sînen zorn sô balde ernendent
443 sô die alten brîster von den wir lesen:
444 die daz gotes liut solden verwesen,
445 der herce wurden bivangen
446 sô sêre mit huorlîchen gilangen,
447 daz si daz leben ê wolten verliesen
448 sîne mûsen in luglîch erchiesen
449 Susannam, daz schône wîp.
450 si vertäiltent ir waetlîchen lîp,
451 dô si nicht wolde läisten ir willen.
452 den luglîchen schal muose stillen
453 Dânîêl der gotes wîssage;
454 der vertäiltes an dem selben tage,
455 dô si mit luge wolten verdampnen
456 vor wîben unt vor mannen
457 die unschuldigen Susannen.


458 Dânîêl was ein chint an den jâren,
459 der in, alsô alt sô si wâren,
460 von got ce mäister gesetzet wart.
461 spraech ich ce gilîcher wîse daz gotes wort,
462 doch si ez selbe wol chunnen,
463 des möchten si mir sam gunnen
464 als sant Dânîêlen gischah.
465 ist aber in läider ungemach
466 durch daz ich bin ein suntaere,
467 sô sol in doch diu schrift machen giwaere
468 an gäistlîchem sinne,
469 daz hie bivor ein eslinne
470 ir mäister daz gotes wort lêrte,
471 dô in sîn gîrischäit verchêrte,
472 daz er die gotes liut wolde verflûchen.
473 wellent si umb sîn gebet nicht rûchen
474 ich wil bî sînen hulden swern
475 — mir enmac niemen daz erwern,
476 si haben ez ce hazze oder ce nîde,
477 daz ich es immer verswîge,
478 ichn sage von got swaz ich chan.
479 er hât etwâ sînen dienstman
480 den des vil lîhte wol gizimt
481 unt im ein giwârhäit nimt
482 nâch mînen worten etwâ.
483 der aber wil daz in gotes niht bistâ,
484 der gesicht wol wie ez im ergât,
485 welh einen hêrren der hât:
486 daz ist der dâ von im niht läides wirdet rât!


487 Si hânt vil diche gebrediget
488 daz niemen werde erlediget
489 an dem jungistem tage wan die drî;
490 vernemt wie daz bediutet sî:
491 alle die lêraere urchundent:
492 "die ân ê sundent,
493 "den wirt ouch vertäilet ân ê.
494 der arche phleget hie bivor Nôê;
495 alsô tuont ouch si biräite
496 der häiligen christenhäite.
497 genuoge behaltent lîp unt sêle
498 unbewollen mit Dânîêle;
499 die sint den mageden gelîch
500 unt besitzent daz himelrîch.
501 die aber diu wîp hânt erchant,
502 die sint zuo Jôbe ginant;
503 die sulen immer bilîben staete
504 mit êlîcher hîraete.
505 genist niemen wan die drî,
506 nû war choment die fornicarii,
507 daz sprichet "die boesen hûraere?
508 der urtäil wirdet swaere,
509 man vindet siu ninder under den drin.
510 war chêrent si allen ir sin
511 die der boeshäit phlegent?
512 swenne si die wârhäit redent,
513 daz ist diu allermäiste nôt
514 daz si ûf ir selber tôt
515 diu zwiwächsen swert erbarent.
516 wir sehen die vor in gevarent
517 die chêrent in die helle,
518 des bedench sih enzît der in niht volgen welle.
519 siu ensol diu rede nicht biswâren,
520 sine durfen sich des immer vervâren
521 daz ich den brîstern allen icht spreche.
522 swer aber in der huorer zeche
523 sîn leben wil richten,
524 der sol sich ze dem brîster nicht phlihten.
525 wir wellen die läien gerne lêren
526 daz nicht sô guot ist ze êren
527 sô der brîster, ob er recht lebt
528 unt des namen mit werch rechte phlegt;
529 wir hoeren den wîssagen lêren,
530 er sî ein engel unsers hêrren.
531 welle wir in der engel namen geben,
532 sô sulen si ouch englischen leben!
533 wil er danne mit ubeln wîben
534 den engel von im vertrîben,
535 daz er biwillet sînen lîchnamen,
536 des mag er sich immer schamen.
537 war zuo sol dem briester gemäitheit!
538 ez ist nicht anders umbe sîn höfscheit
539 denne als umb des esels singen;
540 jâ sol er den lîp twingen
541 daz er werde chiusch unt räine,
542 sîn guot sol wesen gemäine,
543 gern sol er sehen die geste,
544 schaffe den durftigen reste,
545 habe die wäisen in sîner phlege,
546 beschirme die witwen swâ er mege;
547 diu zierde ist im guot!
548 swâ er des nicht tuot,
549 dâ hât er dem namen widersäit
550 unt ist gar an got verzäit.
551 wir sîn in sô harte nicht ergramt,
552 wir mäinen nicht die gelêrten alle sampt.
553 swie vil er der buoche chunne,
554 wil er werltlîch wunne
555 mit den wîben ane gân,
556 sô sol er brîsterlîchen orden nicht bistân.
557 dunche in aber daz sûzze,
558 daz im die liut sîn nôtdurfte bûzzen
559 die er in got mûzze biwarn,
560 sô sol er den lîp lâzzen varn.
561 wil er daz hönic ezzen, sô souge den angel:
562 er sol der wîbe haben mangel!
563 der die räinichäit dâ lêret,
564 wie er sich selben entêret,
565 swenne er die chiusch lobt an der predige
566 unt si danne velschet mit boesem lebene!
567 sô gewinnet der läie einen boesen muot:
568 "wes verbiutet mir mîn lêraer daz er selbe tuot?
569 "weste mîn lêraere
570 "daz daz huor sô sorchlîch waere,
571 "ich geloube wol daz erz verbaere.


572 Sie sprechent si haben ouch daz gilesen
573 daz dehäin läie muge ginesen
574 der ein wîp unêlîchen hât;
575 sô wirt der phaffen vil selten rât
576 die dehäin ê behaltent.
577 wir sehen wol, sô sumlîch eraltent,
578 sô wellent si niwan diren haben.
579 ir willen muoz man in vertragen,
580 wan in daz guot zuo vliuzzet
581 — des vil lutzel iemen geniuzzet —
582 daz si ân arbäite gewinnent.
583 ez ist nicht wunder daz si absinnent
584 die sô manige frömde sunde ûf sich vazzent.
585 ist daz si uns umb dise rede hazzent,
586 sô sol inz doch got biwaeren
587 dâ er sprichet "wê iu trugenaeren!
588 "ir habt die himelsluzzel bistân
589 "unt welt niemen dar în lân
590 "unt enchomt ouch selbe dar în nicht!
591 noch vernemt ouch ein sîn vergiht,
592 er sprichet "die mucken ir lichet,
593 "die olbenden ir slichet.
594 daz welle wir iu bidiuten,
595 waz daz erzäiget an den armliuten:
596 wurchet ein mensch einen letzen vîrtac,
597 dem driut er den gotes slac,
598 mit sînem banne er in bistrichet.
599 dâ mit er die mucken lichet:
600 an dem minnisten gibot wil er sich biwarn,
601 die groezzisten laet er varn!
602 ist daz einer grôzze mäin tuot,
603 dâ fur nimt er sîn guot.
604 sô hât er den olbenden verslunden:
605 den phaffen unt den schuldigen hât gebunden
606 ein ebenswaerer beie!
607 tumber mensch, armer leie,
608 vliuch sô gitâne lêre!
609 daz gibiutet dir unser hêrre,
610 ob dich dîn ouge läite
611 von dîner sêle gewarhäite,
612 brich ez ûz unt wirf ez in den mist!
613 swem der phaffen unrechtes mit ist
614 unt boeshäit ir gisellen,
615 der vert mit zwäin ougen hin ze helle.
616 nû ist bezzer daz er endar
617 mit sîner uppichäit var
618 unt daz uns got hab in sîner giwar.


619 Gerne saehen dîe fursten daz
620 daz die phaffen als diu liehtvaz
621 von ir tugenden mûsen brinnen
622 ûzzen unt innen,
623 ob si die hêrren wol hieten,
624 dâ wider solden si bieten
625 daz si ir chiusche behielten
626 unt der riusaere genâden wielten.
627 in solde sîn vil läit
628 sô gitâniu frîhäit!
629 daz an dem roemischem hove
630 der bâbest unt die bischove
631 mit einander wurden enein
632 des man phliget ze Ungern unt ze Bêheim
633 unt phlaege in allen diutschen landen:
634 daz si den phlûc hieten in ir handen,
635 bêdiu draeschen unt sniten,
636 daz si von ir unsiten
637 immer sô getobten!


................


638 sô wurd in vil endanc
639 daz si an dem drum der banc
640 bî den chnechten gesaezzen,
641 mit in ubel trunchen unt aezzen:
642 vil gerne si dirre schônhäit vergaezzen!


643 Nû sul wir si biten alle
644 daz in diu rede icht ubel givalle,
645 wan ich die wârhäit hân gesprochen;
646 hân aber ich die inder cebrochen,
647 daz choem mir ze einem verlorne
648 unt behût mich vor ir zorne
649 Christes chriuce unt sîn van!
650 nû sprech wir ouch ir irriu wîp an!
651 den ich zwâr wol gesagen chan:
652 swelhiu unserm hêrren sînen dienstman
653 gefûret ûz dem rechtem wege,
654 ichn wäiz ob si immer wirs getuon mege;
655 swelhiu dar an wart erfunden,
656 der mit cehen tousent phunden
657 ir sunde widerwaege
658 unt diu den durftigen gaebe
659 alle tage umb ir sêle,
660 ezn frumt si niht mêre
661 wider den gotes zorn denne eine pône!
662 si mûz die sext unt die nône,
663 die terz unt die prîme,
664 complêt unt ouch die mettîne
665 unserm hêrren gelten, des ist niht rât.
666 singet er des andern tages misse, sô er bî ir gelegen hât
667 sô sul wir si dem tîvel ûf sellen,
668 daz er im die brout haben welle! —
669 daz ist an ir wîben wol schîn:
670 swie guot minnaere si sîn,
671 swâ er mit der gâbe ûf ziuhet,
672 dâ hât sich diu liebe geriuhet.
673 sô waen er alle sîne sinne
674 chêrt an des guotes giwinne.
675 dem er denne zuo wil,
676 der schulde macht er im harte vil,
677 untz in jener mit dem guote grûzzet;
678 sô ist diu sunde gibûzzet.
679 er nimt ein veder und ein bûchel
680 unt bringet sînem wîbe ein troutspel
681 — der îtelchäit ist si hol
682 unt der untriwen vol —,
683 er sprichet "mîn liebe triutin,
684 "dise rede dû vernim:
685 "der hât ein manslacht gitân,
686 "diser hât ein sippehûr bigân;
687 "der ist mit sîner gevatern gerûget —
688 "got hât ez uns wol gefûget:
689 "si wurden uns gisaget ze christenlîchen dingen,
690 "daz hânt si mit ir phenningen
691 "vil wol understanden,
692 "want si ir schulde wol erchanden.
693 "zwêne rôte bouge soltuo tragen
694 "wol gestäinet unt ergraben;
695 "die hât mir ze triwen gislagen
696 "ein biderber mäister: ih ubergaben,
697 "dô si mir, liebez wîp, gevielen.
698 des beginnet denne smielen
699 des tîvels juncfrowe.
700 si hât vil guot gezowe,
701 hemde unt röchel;
702 ouch habent si die lochel
703 alsô chläine gedraet;
704 die handschûch wol ginaet
705 ziehent si an mit vlîzzen;
706 die borten sihet man glîzzen
707 durch die gelwen rîsen;
708 si biginnent sich vaste brîsen;
709 die hantschoene! unt die spiegel!:
710 ûf einen itniwen friedel
711 stêt aller ir gedinge.
712 daz machent die opherphenninge
713 unt daz armsêlgiraet,
714 dar ûf schaffent si allez ir gewaet;
715 daz ziehent si nâch in unt vor.
716 waz hôret ce sô gitânem verlor?
717 armer liute sunde sint ir urbor!


718 Hêten die phaffen scham,
719 sô stûnde ir wîbe nam
720 vil ubel an den buochen;
721 wellent si in dar an suochen,
722 ir gemûte si vil harte räizent.
723 wan si vil lasterlîchen häizzent
724 die mit den phaffen sint givallen.
725 daz si êwichlîchen mûzzen vallen!
726 man biginnet si stetenen
727 in fiurîne chetene
728 nâch disem broedem lîbe,
729 die briester mit ir wîben;
730 ir dehäines wirt nimmer rât!
731 war gidenchet manic unflât,
732 daz si lebent âne riwe,
733 wan si dehäine triwe
734 ze den ir wîben mêr vindent?
735 wan swâ si mit dem guote erwindent,
736 dâ hât diu liebe ein ende!
737 ez ist recht daz man siu schende
738 — ir hât diu werlt niwan spot —,
739 unt achtent lutzel ûf got;
740 der hât siu ûz sînem scherm lâzzen!
741 wir sulen siu billîchen ebenmâzzen,
742 si sint als ein durcheler sac
743 — vil wol ich siu alsô häizzen mac! —,
744 dâ man oben în schiubet
745 unt ez niden ûz stiubet.
746 ich enwäiz waz den phaffen an in liubet.
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Wilhelm von Baumgarten
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Re: Texte und Dichter

Beitrag von Wilhelm von Baumgarten » Do Jun 23, 2016 12:39 pm

Die Erinnerung an den Tod

1 Mich läitet mînes gelouben gelubde
2 daz ich von des tôdes gehugde
3 eine rede fur bringe.
4 dar an ist aller mîn gedinge,
5 daz ich werltlîchen liuten
6 beschäidenlîchen mûze bediuten
7 ir aller vräise unt ir nôt,
8 die ûf den täglîchen tôt
9 der allen liuten ist gemäine
10 sich beräitent läider säine.
11 die mache uns der wîssage chunt,
12 er sprichet "omnes declinaverunt,
13 daz sprichet "si hânt sich alle genäiget.
14 er mäinet die dâ habent gesäiget
15 von got ze dem êwigem valle.
16 er mac wol sprechen "alle,
17 wan under tousent sundaeren
18 mug wir vil choum einen bewaeren
19 der durnechtic muge häizzen.
20 owê, waz wir alle tage gefräischen
21 unchristenlîcher sunden!
22 man hoeret uns niender chunden
23 wâ einer stech in einer chliuse
24 der sîne sunde alsô beriuse
25 oder anderswâ gebûzze
26 als Mâriâ diu sûzze,
27 diu nâch Christes ûfverte
28 cît unt stat bischerte
29 in einer äislîchen wûste,
30 dâ si inne wonen mûste
31 âne der liute mitwist,
32 die si nâch unserm hêrren Christ
33 nimmer mêr bischowen wolde,
34 sît si in nicht lenger sehen solde.


Daz Gemeine Leben

35 Owê, armiu phaffhäite,
36 diu den läien ein geläite
37 solde zû dem himelrîche geben,
38 wie harte si zerucke mûzen streben
39 an dem jungistem gerichte,
40 unt möchte iemen ze gotes gesichte
41 sich des tages dâ verbergen!
42 unt ist daz si gehôrsam sulen werden
43 des an den buochen geschriben stât,
44 als in unser hêrre got geboten hât
45 — wan er in allen hât gedrôt
46 in den êwigen tôt
47 die sô nicht lebent als er in gebiutet
48 unt in sîn schrifft bediutet,
49 sulen sîniu wort nicht zergên,
50 si mûzzen an der wârhäit gestên —,
51 ist daz si der christenhäit wellent phlegen,
52 nâch den si solden leben
53 als si an den buochen hânt gelesen,
54 sô mocht ir einer nicht genesen.
55 christenlîcher orden
56 der ist harte erworden:
57 sumlîch habent den namen ân daz ambet;
58 läider vil lutzel im iemen enblandet
59 ouf den wuocher der armen sêle;
60 die der obristen êre
61 under der phaffhäit solden phlegen,
62 den daz vingerl unt der stap ist geben
63 unt ander vil bezäichenlîch gewant,
64 dâ von si bischof sint ginant,
65 ze den ist daz recht enzwäi:
66 pharre, prôbstei unt abtei,
67 wîhe, zehende, phrûnde
68 die si nicht ze verchoufen bestûnde,
69 daz gebent si ander niemen
70 wan der ez mit schatze mac verdienen.
71 Ir junger habent ouch wol erchant,
72 wie in ir mäister hânt
73 vor gitragen daz bilde:
74 bîchte unt bivilde,
75 misse unt salmen
76 daz bringent si allenthalben
77 ze etlîchem choufe;
78 ez sî der chresem oder diu toufe
79 od ander swaz si sulen begân,
80 daz lânt si niemen vergeben stân
81 wan als diu miete erwerben mac.
82 owê, jungister tac,
83 welhen lôn soltû in bringen!
84 ir dehäiner hât den gedingen
85 ob sîn des tages sul werden rât.
86 swer gäistlîche gâbe verchoufet hât,
87 — wie möchte des missetât
88 immer mêre werden rât! —
89 wirt er dar an funden,
90 er mûz immer sîn gebunden
91 in der häizzen fiures flamme,
92 ze spâte chläit er danne!
93 swaz er halt gûter dinge bigât,
94 die wîle er an dem unrecht stât
95 daz ist vor got verflûchet,
96 sîn gebet wirt verunrûchet,
97 wan ez ze gotes ôren nicht stîget,
98 sîn gehugde wirt êwichlîch verswîget.


99 Die ze briester sint gezalt
100 die hânt der zwelfpoten giwalt
101 daz si mit dem gotes worte daz si bredigent
102 die sundaer bindent unt erledigent.
103 ouch sulen si ir leben behalten,
104 anders muoz si got engalten
105 daz si den nutz âne muo wellent haben.
106 in gît got von sînem wîssagen
107 ein vorchtlîche urchunde:
108 "dise verswelhent mîner liute sunde.
109 unser hêrre ouch selbe chiut:
110 "dise ladent ûf daz armliut
111 "solhe burde die niemen mac erheben
112 "unt wellent si selbe nicht erwegen.
113 sumlîche die aber sô senfte sint,
114 die trôstent uber recht des tîvels chint
115 unt liebent in die mäintât.
116 swer in ze gebene hât,
117 der mac tuon swaz er wil,
118 daz er dehäine wîs sô vil
119 mac getuon bôser dinge,
120 ez bûzen die phenninge.
121 die mucken si lichent,
122 die olbenden si verslichent:
123 si refsent niewan die armen
124 — die solden in erbarmen! —,
125 swaz der rîche man getuot
126 daz dunchet siu sûz unt guot.
127 got enwelle sîniu wort verwandelen,
128 sô er vordert ein sêl von der anderen,
129 wâ sol der mensch denne erschînen
130 der von den schulden sînen
131 verliuset mit sîner ger
132 tousent sêl oder mêr?
133 als wir diu buoch hôren schrîben:
134 ir aller wîzze er mûz lîden
135 nâch der jungisten schidunge,
136 sô läider âne barmunge
137 gotes zorn uber siu ergêt.
138 wie tiwer si danne gestêt
139 dirre werltlîche rîchtuom
140 unt der unsaelige frîtuom,
141 daz si lebent âne twanchsal!
142 nû wellent die phaffen uber al
143 in daz haben ze einem rechte gar
144 daz sich under der phaffen schar
145 sul der wîbe iemen ânen.
146 jâ solden si sich von ir undertânen,
147 als ich ein ebenmâzze wil fur ziehen,
148 als der vihirt von den vihen
149 unt der mäister von den jungern,
150 sus solten si sich sundern
151 unt wellent lîchtichäit phlegen!
152 durh waz ist in diu mäisterschaft geben?
153 bêdiu unzucht unt häilichäit,
154 unchiusche unt räinechäit,
155 die sint nicht wol ensamt.
156 swenne des briesters hant
157 wandelt gotes lîchnamen,
158 sol si sich danne nicht zamen
159 von wîplîchen anegriffen?
160 entriwen, si sint dar an beswichen!


161 Unser geloube daz bivangen hât,
162 swenne der brîster ob dem alter stât,
163 under dem geriune dâ
164 entsliezent sich die himel sâ,
165 daz sîniu wort dar durch varn.
166 im sendet ouz allen englischen scharn
167 unser hêrre sîne dienstman.
168 daz opher wirdet lobesam:
169 ez vertilget alle die missetât
170 die diu christenhäit bigât,
171 die des mit wârem gelouben gedingent.
172 die daz ampt fur bringent,
173 sprechet welher räinichäit er bedurfe?
174 dar umbe heb wir uns ze rûffe
175 unt sprechen, ez sul got missecemen
176 daz wir der misse vernemen,
177 die wir nicht sehen leben
178 noch den segen sô räine geben
179 als si von rechte solden;
180 dar umbe sî wir in erbolgen.
181 swâ aber daz gotes wort unt diu gewîhte hant
182 ob dem gotes tische wurchent ensant,
183 da wirt der gotes lîchname in der misse
184 von einem sundaer sô gewisse
185 sô von dem häiligistem man
186 der briesterlîchen namen ie gewan.
187 getorst ich iu sagen daz ich wäiz:
188 die ir christenlîchen anthäiz
189 mit andern gehäizzen habent gemêret,
190 swie wol si diu buoch sîn gelêret,
191 die sich ze dirre werlt habent gezogen,
192 eintweder diu schrift ist gelogen
193 oder si choment in ein vil michel nôt.
194 si solten in dirre werlt wesen tôt
195 unt solten daz vläisch an in rêwen,
196 daz ez täglîch mûse slêwen,
197 unt die sêle ane schowen
198 sam ein diu ir rechten frowen.
199 nû habent si haz unt nît,
200 missehellunge unt strît,
201 wol chunnen si spoten unt grînen
202 unt lâzzent ubel schînen
203 ob si die wâren minne
204 in dem hercen sulen gewinnen,
205 iriu wort sint vil manicvalt,
206 sine haben ampt oder gewalt
207 anders dunchet ez siu ze nichte,
208 si dienent niwan ze gesichte,
209 durch vorchte, nicht durch minne,
210 si gesitzent nimmer inne,
211 si wellent umbetwungen sîn.
212 daz ist an sumlîchen schîn
213 die ir dinc sô schaffent ûzze:
214 die wellent in sô gitâner bûzze
215 sih sô swanzunde tragen.
216 der in der werlt niht einen esel mochte haben,
217 ze boeser gewinnunge
218 ist sîn herce unt sîn zunge
219 geschicket in wunderlîcher wîse.
220 unt möcht iemen mit hêrlîcher spîse
221 daz himelrîch beherten
222 unt mit wol gistraelten bärten
223 unt mit hôh geschornem hâre,
224 sô waeren si alle häilich zwâre!
225 Dar ûf hab wir läien ein archwân:
226 swaz wir die wandelbaere sehen bigân,
227 des verwaene wir uns ouf die andern alle.
228 si sint ein schande unt ein galle
229 gäistlîcher samnunge.
230 von wie getâner ordenunge
231 sold er ze einem hêrren werden gehabt
232 fur daz er der werlt hât widersagt
233 der vor des ein armmensch was?
234 in dem winder wirt durre daz gras
235 daz des sumers was grûne;
236 der sich in der werlt dunchet chûne,
237 sô der grîffet an gäistlîch leben
238 dâ er mit dem tievel mûz streben,
239 sô zimt vil wîslîchen
240 daz er ander sîn gelîchen
241 aller êrst inne bringe
242 sîner tugentlîcher dinge.
243 gerne hab wir geredet
244 daz die phaffen biweget
245 unt die muniche ze grôzem zorne.
246 die solden hinden unt vorne
247 der ougen alsô wesen vol,
248 daz si allenthalben wol
249 die vînde gesaehen,
250 wâ si sich wolden naehen
251 ze den die in bevolhen sint.
252 wellent si nû bêdenthalben wesen blint,
253 sô werdent si êwichlîchen erblendet.
254 daz ist uns offenlîchen verendet
255 mit den worten der wârhäite:
256 "swâ ein blinde dem anderm gît geläite,
257 "dâ vallent si bêde in die grûbe.
258 dise rede verstênt genûge:
259 diu gruob ist diu helle;
260 swer nû die blinden wizzen welle:
261 daz sint die boesen lêraere
262 die die verworchten hoeraere
263 mit in läitent in den êwigen val.
264 noch hoeret ein andern sturmschal
265 von unserm herhorn tiezzen
266 des ouch die läien mac verdriezzen:


267 Werltlîche richtaere
268 daz sint widervechtaere
269 gotes unt aller gûte
270 die tragent wulfîn gemûte,
271 si bebirsent swaz si mugen bejagen.
272 diu triwe ist gärlîch erslagen
273 under den die läien sint:
274 der vater mûz hazzen daz chint;
275 er wirt des nimmer ân sorgen,
276 volwähset ez hiut oder morgen,
277 ern verstôzze in alles des er hât,
278 ob sîn dinc unhäiles ergât,
279 daz er nâch rîchtûm erarmet.
280 owê, wie lutzel sich iemen erbarmet
281 alles sînes chunnes uber in!
282 sô vaste strebet ir muot ûf gewin.
283 swâ er sich des nutzes nicht versicht,
284 dehäiner dem anderm vergiht
285 dehäiner chunneschefte;
286 der hêrre versicht sich ze dem chnechte
287 noch der chnecht zû dem hêrren
288 weder triwen noch êren.


289 Rîter unt frowen
290 der leben sul wir lâzzen schowen
291 daz got vil widerwertic ist.
292 die chêrent allen ir list
293 wie si niwer site megen gedenchen,
294 dâ mit sint si die sêle chrenchen,
295 daz ist ein strich der hôhverte
296 diu der den tîvel des himelrîches beherte.
297 er wirbet ouch nicht sô gerne
298 sô daz er uns ûz götlîchem scherme
299 mit dem selbem laster verschunde.
300 ez sint die allermäisten sunde
301 die man wider gotes hulde mac getuon:
302 der hôhvertige man ist tîvels suon!
303 swâ er mit ubermûte gevaehet den man,
304 dem hât er den sic behabet an;
305 des gestêt uns Jôbes schrifft bî,
306 er sprichet "daz er ein furste sî
307 "uber elliu chint der ubermûte.
308 dâ vor uns got behûte,
309 daz wir im icht werden genôzsam
310 von dem diu ubermuot anegenge nam;
311 si ist alles ubeles volläist
312 unt enlaet den häiligen gäist
313 bî dem menschen nicht belîben.
314 diu laster sul wir vertrîben,
315 si benement uns gäistlîch zuht,
316 si sint der sêle miselsuht,
317 si rîchsent almäiste an den wîben —
318 hie muge wir der frowen wol geswîgen.


319 Wir sehen ce gazzen unt ze chirchen
320 umbe die armen tagewurchen
321 diu nicht mêr erwerben mac;
322 si gelebt ir nimmer guoten tac,
323 si enmache ir gewant alsô lanc
324 daz der gevalden nâchswanc
325 den stoub erweche dâ si hin gê —
326 sam daz rîche al deste baz stê!
327 mit ir hôhvertigem gange
328 unt mit vrömder varwe an dem wange
329 unt mit gelwem gibende
330 wellent sich die gebiurinne an allem ende
331 des rîchen mannes tochter ginôzzen
332 mit ir chratzen unt mit ir stôzzen
333 daz si tûnt an ir gewande.
334 daz sol den von recht wesen ande
335 die daz recht minnent.
336 swes sumlîch beginnent
337 dar nâch brüttent sich die andern.
338 des rechtes ist lutzel bistanden
339 under armen unt under rîchen,
340 daz mûz got von schulden misselîchen.
341 von den frowen sul wir nicht ubel sagen,
342 doch mug wir der rîter nicht verdagen:
343 zwêne geverten hât diu ubermuot,
344 die setzent die rîter an die gluot
345 der êwigen fiures vanchen
346 — er hât got vil ce danchen
347 der sich ân die bejaget,
348 der hât der hôhverte widersaget —,
349 die verläitent si vil diche
350 in des êwigen tôdes striche,
351 dâ si verliesent ir leben
352 — sô mac dem armen niemen geben,
353 er mûz sîn verdampnet —:
354 swâ sich diu rîterschaft gesamnet,
355 dâ hebet sich ir wechselsage,
356 wie manige der unt der behûret habe;
357 ir laster mugen si nicht verswîgen,
358 ir ruom ist niwan von den wîben.
359 swer sich in den ruom nicht enmachet,
360 der dunchet sich verswachet
361 under andern sînen gelîchen.
362 swâ aber von sumlîchen
363 der manhäit wirt gidâcht
364 — dâ wirt vil selten fur brâcht
365 wie gitâner sterche der sul phlegen
366 der wider den tievel mûze streben —,
367 dâ nennent si genûge
368 vil manic ungefûge,
369 si bringent sich mêr ze schanden,
370 swenne si sprechent "den mac man in allen landen
371 "ze einem guotem chnecht wol haben:
372 "der hât sô manigen erslagen.


373 Die machet uns der wîssage chunt:
374 "si vreunt sich, sô si tuont
375 "daz boesiste an allen dingen
376 "swaz si des mugen fur bringen.
377 die wir an disen worten bewaeren,
378 von solhen rûmaeren
379 wie dise werlt niuwe
380 wirt läider ungetriuwe.
381 diu chlaget von rechte
382 die vordern guote chnechte
383 die ir sô gar sint benomen.
384 sol disiu werlt an ir ende chomen,
385 owê unser jungiste erben!
386 wie harte si mûzzen verderben
387 gotes unt ir christentuom!
388 wâ schînet der althêrren wîstuom
389 den niemen ercellen mächte
390 under allem ir geslächte?
391 alle die bî disen cîten lebent,
392 dehäines anders listes si phlegent
393 wan wie si anenander betrîgen,
394 bespoten unt beliegen.
395 verboeset ist diu niwe jugent;
396 êre, zucht unt tugent
397 die nîgent umb sam ein rat.
398 Rôme, aller werlde houptstat,
399 diu hât ir alten vaters nicht.
400 man vindet dâ dehäin zûversicht
401 rechtes noch genâden,
402 wan wie man dem schatze muge gelâgen.
403 der rîche man ist edele
404 unt ist der fursten gesedele,
405 er ist wîse unt starch,
406 er ist schoene unt charch
407 unt in den landen lobesam.
408 allenthalben ist verworfen der armman.
409 gäistlîche richtaere
410 die mugen rîchsnaere
411 baz denne mäister gehäizzen:
412 mugen si der schilde vil geläisten,
413 helme unt brunne,
414 daz ist elliu ir wunne,
415 daz si mit menige rîten
416 unt häizzen in die gegende wîten
417 dienen swes sô si sî.
418 ir undertânen wellent wesen frî
419 ze tûnen allez daz in gevalle.
420 die rîchen lebent mit schalle,
421 die armen si muont mit gesuoche:
422 daz vindet man an dehäinem buoche.


423 Die phaffen die sint gîtic,
424 die gebour die sint nîdic,
425 die choufliut habent triwen nicht,
426 der wîbe chiusche ist enwicht.
427 frowen unt rîter
428 dine durfen nimmer gestrîten
429 weder ir leben bezzer sî.
430 siu bäidiu wellent wesen frî.
431 die guot sint unt biderbe,
432 dâ etze wir in tousent widere
433 den niemen mac urchunde geben,
434 ob si tugentlîchen leben.
435 michel mêre hân ich gereit
436 denne ich mir het ûf geleit,
437 dô ich des liedes bigan.
438 dar umbe sî mir niemen gram,
439 daz ich die wârhäit hân gesprochen;
440 swâ aber ich den orden hân zebrochen
441 der mâtêrie di ich ane viench,
442 daz machent lästerlîchiu dinch
443 unt ditzes lîbes getrugde
444 der uns von des tôdes gehugde
445 manigen ende läitet,
446 als wir iu vor haben gebräitet.
447 hie welle wir enden ditz liet
448 — daz vorder gehillet disem niet
449 daz wir haben ze redene —:
450 von dem gemäinem lebene
451 mag ez einen besunderen namen wol haben.
452 swaz wir von dem tôde wellen sagen,
453 daz vindet ir geschriben hie bî;
454 des beginne wir in nomine domini.


Memento Mori (kompletter Text)

455 Nû gedench aber, mensch, dînes tôdes
456 nâch den worten des hêrren Jôbes,
457 der sprichet "churz sint mîne tage,
458 "mîn leben nâhet zû dem grabe,
459 des er ouch anderswâ ist gehugende:
460 "gedenche dînes schephaeres in der jugende
461 "ê dich diu zît bevâhe,
462 "daz dir dîn ungemach nâhe,
463 "unt ê dîn stoup werde
464 "wider zuo der erde!;
465 dem ouch diu wort gelîch sint:
466 "mîn leben ist sam ein wint,
467 "sam ein wazzer daz dâ hin strîchet.
468 "ich bin dem aschen gelîchet,
469 "mîn ebenmâzze ich mische
470 "ze dem aschen unt ze dem valwische.
471 daz ist ein swaerer trôst der hie schillet,
472 dem ouch ein ander wîssag gehillet,
473 er sprichet "mîn leben ist staete sô daz gras
474 "daz hiute dorret unt gester grûn was.
475 dâ bî chieset wîsen man
476 dêr sînes tôdes nicht vergezzen chan.
477 ouch manet uns Salomônes scrift,
478 er sprichet "sun, nû vergiz nicht
479 "dîner jungisten stunde!
480 "sô lebestû immer âne sunde.
481 wê im der sîn heile unt sîn bîchte gespart
482 an sîn jungiste hinvart!


483 Armer mensch, broeder läim
484 — diu zwei sulen werden enäin —!
485 sô dû des êrsten chumst her,
486 ê dîn muoter dich geber
487 mit sêre unt mit ache
488 ze grôzem ungemache,
489 aller der werlt hâstû nicht mêre gemäines
490 wan der hiute unt des gebäines.
491 duo wirst ouch geborn âne waete:
492 durch waz bistû sô staete
493 an boeser gewinnunge?
494 unt wolde diu gotes ordenunge
495 dich aller werlt machen frömde,
496 er hêt dir doch geben ein hemde,
497 dâ mit dû dîne scham bedachtest.
498 ûf dirre erde dû nimmer benachtest,
499 dû mûzest ertôten unt erbläichen.
500 sô dû dîn herceichen
501 mit wäinen beliutest
502 — dâ mit dû wol bediutest,
503 daz dû ze der armchäit giborn bist —,
504 ê dir nû chomt dîn jungiste vrist,
505 sô mûstû vil offte rûffen "wê!
506 "mit grimme ist recht daz er zergê
507 "der geborn ist mit grimme.
508 alsô diu êrste stimme
509 nâch der geburte wol erschäinet,
510 sô daz niweborn chint wäinet.
511 eines chuniges sun weile wir iu nennen,
512 ob ir an dem muget erchennen,
513 weder er sî geborn mêre
514 ze läide oder ce sêre
515 oder ce vreuden oder ze gemache.
516 wir mugen iu maniger slachte sache
517 hie ze stet lâzzen under wegen,
518 dâ mit wir diz chint mochten biwegen
519 ze einer langen siechäite.
520 nû lâzze wir in zû der swertläite
521 mit allen vreuden volchomen.
522 wê, möcht er dar an volwonen,
523 sô gêt im alrêst arbäite zuo:
524 er mûz spât unt fruo
525 um dise arme êre sorgen,
526 wie er hiut oder morgen
527 muge gemêren sîniu lêhen;
528 er endarf sich nimmer versehen
529 voller triwen noch genâden
530 von sînen naehsten mâgen!


531 Hât er im senfte erchorn,
532 sô ist sîn êre schier verlorn,
533 sô wirt er verstôzzen
534 von andern sîn genôzzen.
535 wil er aber ungetriu wesen,
536 sô mag er ze der sêle nicht genesen.
537 swelhes lebens er beginnet,
538 wie lîcht im dar an misselinget!
539 sîn sorge ist fruo unt spâte,
540 daz in einer icht verrâte
541 oder daz im einer icht vergebe;
542 des geschiht mêre denne ich mege
543 iu oder ander iemen gesagen.
544 doch mug wir iu manige nôt niht verdagen
545 die den armen unt den rîchen
546 geschênt mislîchen
547 einer hât daz vieber oder daz vergiht,
548 einer verliuset hoeren oder daz liecht,
549 einem wirt etlîch lit enzogen,
550 einer lît gärlîch versmogen
551 daz er gên unt stên nicht enmach,
552 einer verliuset wâz unt smach,
553 einer verliuset sîne sprâche:
554 sus getâne râche
555 die einem ieglîchem menschen geschaden megen,
556 wer mac sich dâ vor entreden,
557 swie rîche oder swie hêr er sî,
558 daz er von solhen suchten belîbe frî?


559 Doch verhenge wir daz etwer
560 muge ân aller slachte sêr
561 geleben sînen jungisten tac,
562 daz doch vil ubel geschehen mac,
563 nû waz ist der rede mêre?
564 als schier sô diu arm sêle
565 den lîchnamen begît,
566 nû sich, armer mensch, wie er lît:
567 het er gephlegen drîer rîche,
568 im wirt der erden ebengelîche
569 mit getäilet als einem durftigen.
570 ouch sehe wir sumlîch ligen
571 mit schoenen phellen bedechet,
572 mit manigem liechte bestechet,
573 mirre unt wîrouch
574 wirt dâ gebrennet ouch
575 unt wirt des verhenget
576 daz diu bivilde wirt gelenget,
577 untz sich sîne vriunde gar
578 gemäinlîchen gesamnen dar,
579 sô ist daz in ir aller phlege,
580 wie man in hêrlîchen bestaten mege.
581 owê, vertäiltiu hêrschaft!
582 swenne diu tîvellîch hellecraft
583 die armen sêle mit gewalte verswilhet,
584 waz hilfet swâ man bevilhet
585 daz vil arme gebäine,
586 sô der armen sêle mitgemäine
587 allen häiligen widertäilet wirt?
588 wê der nacht diu in danne gebirt!
589 nû lâzze wir des sîn verhenget,
590 daz diu bivilde werde gelenget
591 zwêne tage oder drî
592 oder swaz ez länger dar uber sî,
593 daz ist doch ein chläglîch hinevart:
594 nicht des daz ie geborn wart
595 wirt sô widerzaeme
596 noch der werlt sô ungenaeme!


597 Nû ginc dar, wîp wolgetân,
598 unt schowe dînen lieben man
599 unt nim vil vlîzchlîchen war
600 wie sîn antlutze sî gevar,
601 wie sîn schäitel sî gerichtet,
602 wie sîn hâr sî geslichtet;
603 schowe vil ernstlîche,
604 ob er gebâr icht vroelîchen,
605 als er offenlîchen unt tougen
606 gegen dir spilte mit den ougen;
607 nû sich, wâ sint sîniu mûzige wart
608 dâ mit er der frowen hôhvart
609 lobet unt säite;
610 nû sich in wie getâner häite
611 diu zunge lige in sînem munde
612 dâ mit er diu troutliet chunde
613 behagenlîchen singen
614 — nûne mac si nicht fur bringen
615 daz wort noch die stimme —;
616 nû sich, wâ ist daz chinne
617 mit dem niwen barthâre;
618 nû sich, wie recht undâre
619 ligen die arme mit den henden
620 dâ mit er dich in allen enden
621 trout unt umbevie!
622 wâ sint die fûze dâ mit er gie
623 höfslîchen mit den frowen?
624 dem mûse dû diche nâch schowen
625 wie die hosen stûnden an dem bäine;
626 die brouchent sich nû läider chläine!
627 er ist dir nû vil fremde
628 dem dû ê die sîden in daz hemde
629 mûse in manigen enden witten.
630 nû schowe in an: al enmitten
631 dâ ist er geblaet als ein segel;
632 der boese smach unt der nebel
633 der vert ûz dem uberdonen
634 unt laet in unlange wonen
635 mit samt dir ûf der erde.
636 owê, dirre chläglîche sterbe
637 unt der wirsist aller tôde
638 der mant dich, mensch, dîner broede.
639 nuo sich encît umbe,
640 ê dich dîn jungiste stunde
641 begrîffe diu dir ie ze furchten was.
642 repentina calamitas,
643 daz sprichet "sorge ze sô getânem tôde
644 unt sprich mit dem hêrren Jôbe:
645 "churzlîchen vervarent mîniu jâr;
646 "ich gên einen stîc, daz ist wâr,
647 "an dem ich nicht chum widere.
648 ê dich dîn jungistez geligere
649 begrîff an dem bette,
650 chêre dîn schef ze stette,
651 daz dich enmitten ûf dem mer
652 die sundern winde hin unt her
653 denne icht ane bôzzen
654 unt dû ez nicht ze stade macht gestôzzen.
655 sô dich begrîffet der siechtuom,
656 sô machtû der sunde nicht mêr getûn.
657 sô lâzzent dich die sunde unt nicht dû siu.
658 nû sage, armer mensch, umbe wiu
659 wil dû den phaffen denne gesprechen?
660 waz wil dû dînes dinges cechen,
661 sô dû gebûzzen nîne macht?
662 dû hâst dich ze uncît bedâcht!
663 rîcher unt edeler jungelinc,
664 merche ängestlîchiu dinc
665 unt ginc zû dînes vater grabe,
666 nim den obristen stäin dar abe
667 unt schowe sîn gehäine,
668 siuffte unt wäine!
669 dû macht wol sprechen, ob dû wil
670 — ez nimt dir dîner hêrscheft nicht vil —:
671 "lieber vater unt hêrre,
672 "nû sage mir waz dir werre!
673 "ich siche dîn gebäin rozzen,
674 "daz hât diu erde gar vernozzen,
675 "ez chriuchet boeser wurme vol.
676 "ditz stinchunde hol
677 "erzäiget mînem sinne
678 "einen äislîchen wâz dar inne.
679 "ouch ist mir inrclîchen swaere,
680 "sô schoene sô dû waere,
681 "daz dû sô schier bist erworden.
682 "daz ist ein jaemerlîcher orden: .
683 "daz ê blût sam diu lilje,
684 "daz wirt als daz gewant daz diu milwe
685 "beneget unt frizzet.
686 "er ist unsaelic der des vergizzet.


687 Dû möchtest ouch lîchte hân geredet,
688 ob dich der jâmer hete beweget
689 väterlîcher minne.
690 nû gedenche an die sinne,
691 wie er dir antwurten solde,
692 ob ez der nâtûre recht verdolde
693 oder ob sîn got wolde verhengen.
694 ich wil die rede nicht lengen:
695 ich spriche fur in unt mit im,
696 mit rechter andâcht dû daz vernim.
697 "ich wil dir, mîn troutsuon,
698 "des dû mich hâst gefrâget chunt tuon.
699 "mîniu dinc stênt mir ungeräite,
700 "von der wîzze grimmechäite
701 "mag ich mich nicht entrîden
702 "die ich täglîch mûz lîden.
703 "ich hân fiwer unt vinster
704 "ze der zeswen unt ze der winster,
705 "oben unt nidene.
706 "funde mîn nôt iemen geschribene,
707 "der hêt immer dâ von ze sagene.
708 "daz hân ich, troutsun, dir ze chlagene.
709 "waz bedarfstû aber nû langer sprâche?
710 "diu cheten der gotes râche
711 "hât mich starche gebunden;
712 "ich hân härwen lôn funden
713 "alles des ich ie begie,
714 "daz ich läider mir ungebûzzet lie.
715 "aller mâzze het ich vergezzen
716 "mit trinchen unt mit ezzen:
717 "nû wird ich betwungen
718 "mit durst unt mit hunger.
719 "ê bran ich an mînem vläische
720 "mit hûrlîchem swäizze:
721 "nû brennet mich der gotes ban
722 "in dem fiwer daz niemen erleschen chan.
723 "ich lîde sêr unt ungemach,
724 "owê, daz ich dise werlt ie gesach!
725 "gîtichäit unt hôhvart
726 "diu zwäi habent mir unverspart
727 "diu tor der innern helle;
728 "dâ sint die swarcen pechwelle
729 "mit den häizzen fiures flammen;
730 "ich hoere dâ grisgrammen,
731 "wäinen unt wûffen,
732 "vil chläglîch rûffen
733 "die, di des habent dehäinen trôst
734 "daz si immer werden erlôst
735 "ûz dem abgrunde.
736 "ach, daz ich ie des icht gefrumde,
737 "dâ mit ich ir genôz werden muoz!
738 "möcht mir des immer werden buoz
739 "daz mir sô wol geschaehe,
740 "daz ich den tîvel icht an saehe
741 "unt sîn antlutze verbaere,
742 "wie vrô ich des waere!
743 "mîn chlage ich nû ce spâte tuon.
744 "iedoch rât ich dir, lieber suon,
745 "daz dû mich ze einem bilde habest
746 "unt der werlt sô nicht muotvagest,
747 "dû endenchest die nôt die ih besezzen hân
748 "oder ez mûz dir alsam mir ergân!


749 "Nû sage mir, mîn troutsun,
750 "waz hilfet aller mîn rîchtûm
751 "unt manic unsaeliger gewin?
752 "ich wolde allen mînen sin
753 "ie dar an erzäigen,
754 "daz ich choufte lêhen unt äigen,
755 "burge, meirhof unt huobe
756 "unt ander hêrschaft genuoge.
757 "dar umbe ist nû mîn sêl geväilet.
758 "wie hâstû daz mit mir getäilet,
759 "sît ich hie von dir schiet!
760 "des ist läider vil lutzel oder nicht:
761 "wâ sint nû diu almûsen diu dû begâst?
762 "wâ sint die durftigen die dû getrôstet hâst?
763 "wenne gedaechte dû mîn mit den messen?
764 "dû hâst mîn gar vergezzen
765 "sam ich nie geborn wurde.
766 "ach, daz ich sô getâne burde
767 "durch dich ûf mich hân gevazzet!
768 "dar umbe ich nû bin gehazzet
769 "von dem rechtem richtaere.
770 "verflûchet sî der tac der mih gebaere!
771 "manige gewinnunge
772 "die ich âne barmunge
773 "nam von witwen unt von wäisen,
774 "die lâzzent mih nicht ûz den fräisen.
775 "nû schowe, mîn vil lieber suon,
776 "daz ist wâr, dû macht ez gern tuon,
777 "wie mich mîn sin habe geläitet
778 "unt dar ouf gearbäitet,
779 "daz dû bist rîch unt hêr;
780 "ich lîde angest unt sêr!
781 "dû sitzest in grôzen wirtschefften;
782 "ih läider in des tîvels zoumhefften!
783 "man lobt dich wîten in dem lande;
784 "dar umbe lîde ich die grôzen schande!
785 "doch waer ich nicht gar verdampnet,
786 "hêt ich dir den rîchtûm nicht gesamnet
787 "dâ mit dû nû lästerlîchen lebest.
788 "swie harte dû wider got strebest,
789 "als ein diep begrîffet dih der jungiste tac;
790 "dîn guot dich nicht gefristen mac!


791 "Wil dû nû wizzen war ich dich lade?
792 "daz tuon ih dar, dâ dû von tage ze tage
793 "in daz inner abgrunde vellest.
794 "des bechêre dich ob dû wellest!
795 "nû gib ich mînem vläische
796 "die vil unsaeligen gehäizze;
797 "sô ich ez an dem jungistem tage wider nim,
798 "sô mûz diu arme sêle mit sampt im
799 "chomen zuo dem tôdlîchem lebene;
800 "sô stêt mich nicht vergebene
801 "swaz mir ze vreuden ie geschah.
802 "ach, daz ich dise werlt ie gesach!
803 "mîne chestenunge
804 "möcht nimmer dehäin zunge
805 "ze rechte fur bringen,
806 "daz ich nû bin âne den gedingen,
807 "daz ich nû got nimmer gesehen sol
808 "wan denne sô ich sîn urtäil dol.
809 "hêt ich dehäin ander nôt,
810 "daz waer doch mîn êwiger tôt.
811 "nû bechêr dich encît, mîn troutchint!
812 "alle die gîrisch in dirre werlt sint,
813 "genist der einer, daz ist wunder.
814 "den ist der êwige chumber
815 "mit samt dem tîvel ertäilet.
816 "der hât si alsô lebentige gesäilet
817 "mit sîner gîrischaite beien,
818 "daz si immer mûzzen heien
819 "in des fiwers flamme griulîcher esse.
820 "owê, der die grôzzen nôt wesse
821 "diu den rîchen ist gesatzt,
822 "der mûse dirre werlt immer wesen ein gast.


823 "Swer an dem rîchtûm begriffen wirt,
824 "den im diu gîrischäit gebirt,
825 "dem ist daz himelrîch vor bislozzen;
826 "sô hât er ubel genozzen
827 "swaz er guotes ie gewan.
828 "alsô hât uns der gotes sun chunt gitân,
829 "er sprichet offenlîchen daz
830 "ein olbende muge baz
831 "durch einer nâdel oere gevarn
832 "denne der rîche choem in Abrahâmes barn.
833 "swer mit dem rîchtûm wil genesen,
834 "der frâge die phaffen waz si lesen!
835 ""als er nicht enhabe, alsus sol er haben!"
836 "unt enbiut im daz niemen sagen
837 "ob er in niezen sol eine;
838 "mache in allen den gemäine,
839 "die sîn gern in got!
840 "Sant Paulus, der gotes bot,
841 "sprichet: ditzes rîchtûmes gîrischäit
842 "sî der abgot schalchäit.
843 "daz ist an den gîrischen wol gewaere:
844 "fur ir schephaere
845 "nement si daz er geschaffen hât,
846 "ez sî golt, silber oder wât
847 "oder icht des iemen gewan;
848 "ez mûz allez hinder im bistân!
849 "als ein diep begrîffet dich der jungist tac.
850 "dîn guot dich nicht gefristen mac,
851 "dû laest ez allez hinder dîn;
852 "sô ist dîn riwe chupherîn,
853 "lutzel hilfet dîn bîchte.
854 "ouch ergêt daz vil lîchte,
855 "ob dû ez ê hâst versmaehet,
856 "daz uns der tôt undervaehet:
857 "wie gerne dû denne woldest daz dû enmaht
858 "die wîle dir got verlîhe die macht
859 "daz dû bêder dinge wol hâst.
860 "swaz dû guoter dinge begâst,
861 "ein phenninch frumt dir mêre
862 "den dû selbe gîst umbe dîn sêle
863 "denne tousent phunt nâch dînem lîbe.
864 "nicht gihalt ez dînem wîbe;
865 "ir ist lutzel die der triwen phlegen,
866 "wanchel unt unstaete ist ir leben.


867 "Versunde dih nicht durh dîne chint!
868 "der leben ist ouch als ein wint,
869 "ir gemûte ist untugentlîch,
870 "ze allem laster gebrouchlîch,
871 "ze der frumchäit ungehôrsam;
872 "unt gemachest aber dû si lobesam,
873 "daz gestêt dich nicht vergebene.
874 "ih hête vil mit dir ze redene,
875 "daz mûz ich verswîgen.
876 "wan ob dû grôz nôt wellest vermîden,
877 "sô bedenche dich encît!
878 "owê, wie lutzel dir diu helle vergît,
879 "geschihest dû ir zerbarmen!
880 "die enlâzze dih got nimmer erarnen!
881 die drô solher warte
882 die mûstû, dû armer mensch, harte
883 immer erfurchten unt verstân,
884 wie ez dir her nâch sul ergân.
885 nû sage mir, mensch, wer dû bist.
886 wie ob unser hêrre Christ
887 mit dir reden begunde
888 unt spraech ûz sîn selbes munde:
889 "mîn liebistiu hantgitât,
890 "war umbe verwurfe dû den rât
891 "den dir mîn lêraer tâten
892 "unt dich ze dem himelrîch ladten?
893 "dûne wellest dirz enblanden,
894 "swie tiwer ez mich sî gestanden
895 "daz ich dirz hân wider gewunnen,
896 "ich wil dir sîn nicht gunnen,
897 "wil dû sô lästerlîchen leben
898 "unt der ungehôrsam phlegen
899 "als dîne vordern tâten ê.
900 "ouch habe des dehäin sorge mê
901 "daz ich dir dar umbe icht welle
902 "vertäilen zû der helle.
903 "ist dir daz nicht ein grôzze unêre?
904 "mich selben gesihestû nimmer mêre,
905 "ist dir lieber werltlîcher gemach,
906 "den niemen lange gehaben mach,
907 "denne diu himelische êre.
908 "ich sage dir nicht mêre:
909 "der gewinnestû nimmer täil;
910 "anders furchte dehäin unhäil!


911 Hâstû die rede wol vernomen?
912 die lâ nicht ûz dînem hercen chomen
913 unt habe ditz ze einem spelle
914 daz der tîvel oder diu helle
915 uns nâch disem lîbe icht mugen geschaden.
916 wie gitâne freude mac der haben,
917 der got nimmer gesehen muoz?
918 wenne wirt im ungenâden buoz,
919 wurde er gesundert von sîner mitwist
920 an dem dehäin unvreude ist?
921 nû geswîge wir der grôzzen nôt,
922 dar den verworchten ist gedrôt,
923 die si in der helle mûzzen lîden,
924 unt lâzzen die rede nû belîben.
925 wie möcht in immer wirs geschehen
926 die got nimmer sulen gesehen!
927 er waer unsaelich geborn
928 wie aber der, uber den der gotes zorn
929 unt sîn râche wirt ertäilet!
930 swer sîn lîp hât gemäilet
931 mit maniger slachte sunden,
932 sol den der tîvel nicht gebunden
933 werffen in daz êwige ellende?
934 dâ er immer âne ende
935 mûz rûffen ach unt wê,
936 dâ sîn schuntaer ob im stê
937 mit griulîchem antlutze,
938 dâ die unerfulte butze
939 des abgrundes ûz tiezzen
940 unt dâ er sehe vliezzen
941 die bechwelligen bache
942 unt der fiwerschober chrache,
943 unt anderthalb dâ engegene,
944 wie sich der helle vrost megene.
945 unt ob hundert perge fiurîn
946 sîn temprunge solden sîn,
947 sine möchten in nicht erlâwen;
948 unt die tîvel mit fiurîn chlâwen
949 schuoffen in solhes weters sous,
950 entriwen, daz ist ein ubel chuelhous!


951 Dâ wirt iu ruomaeren gelônet,
952 dâ wirt ein ubel gehônet!
953 dû dâ hie ein hûraer bist,
954 dâ häizze icht dînen trugelist
955 unt dîne hônchust beschirmen!
956 dâ mûzet ir rednaere gehirmen,
957 dâ wert ir unrechtes gewert,
958 dâ zuchet iuriu swert,
959 wert iuch, ob ir meget!
960 dâ wert ir scheltaere gideget,
961 ir dâ dehäin ander "wach! gesûchet
962 niwan daz ir flûchet!
963 dâ mûzzen die manslecken schowen,
964 wie man siu ân swert mac verhowen!
965 dâ mûzzen si schrîen unt chlagen
966 unt den gewalt dem tîvel vertragen!
967 diebe unt roubaere,
968 wie ungeloubich ez waere
969 der iu daz möchte fur gerechen,
970 wie man siu beginnet zechen
971 mit bechwelliger hitze!
972 ez ist ein grôz unwitze,
973 der daz nicht bedenchet,
974 der muoz immer sîn geschrenchet
975 in der êwigen nôtschrange
976 unt chumt ouch nimmer danne.
977 als wir dâ vor haben gesprochen:
978 waer dem tîvel sîn recht an im zebrochen,
979 daz er uns nicht möchte geschaden,
980 sô solde wir doch die minne haben
981 zuo dem obristem rîche
982 unt solden siufften täglîche
983 ûz disem ellendem wuofftal
984 zuo dem himelischem sal.
985 dâ ist elliu chlage fremde;
986 under dem himelischem sende
987 dâ sint die gedanch alle vrî,
988 dâne wäiz niemen waz angest sî;
989 mêr vreuden mugen si dâ jehen
990 denne iemen habe gehoert oder gesehen
991 oder iemen gedenchen chunne.
992 ir allermäiste wunne
993 daz ist gotes antlutze,
994 daz gît die saelde ân urdrutze
995 unt fride âne lâge,
996 genâde ân ungenâde.
997 ir vreude ist immer âne cil.
998 dâ ist wunne alsô vil,
999 daz si niemen ercellen mac;
1000 dâ sint tousent jâr sam ein tac.


1001 Er ist saelic unt wîse
1002 der daz êwige paradîse,
1003 unser erbe, in sînem mûte hât.
1004 owê, wie unhôhe den gestât
1005 swaz ûf dirre erde beschaffen ist!
1006 er furchtet ez nicht mêre denne einen mist.
1007 er gedenchet in sînem gemûte
1008 daz diu gotes gûte
1009 mit grôzzer wîshäite
1010 hât geschaffen mit anträite
1011 diu gewurchte sîner häiligen tage siben
1012 ouch ist uns offenbâr geschriben
1013 daz paradîs sî ûf dirre erde;
1014 daz besliezen die hôhisten berge
1015 die dehäin ouge mag uberräichen,
1016 dâ got diu tougenlîchen zäichen
1017 sînen trouten hât verborgen
1018 daz rîch ist immer âne sorgen,
1019 doch diu himelische êre
1020 sî ze loben michel mêre.
1021 wan aller menschen zungen
1022 die disen lîp ie gewunnen,
1023 wolden die sunderlingen
1024 etwaz fur bringen
1025 der genâden diu ce himel ist,
1026 dennoch mächt uns diu minnist
1027 nimmer werden fur gebräitet;
1028 er ist saelich der dar gearbäitet.
1029 dar bringe dû, got hêre,
1030 durch dîner mûter êre
1031 unt durch dîner häiligen recht
1032 Häinrîchen, dînen armen chnecht,
1033 unt den abt Erchennenfride!
1034 den habe dû, hêrre, in dînem fride
1035 unt alle die dirs getrowen,
1036 daz wir mit samt dir bowen
1037 daz frône himelrîche,
1038 daz wir täglîche
1039 mit der engel volläiste
1040 in dem häiligem gäiste
1041 loben den vater unt den sun
1042 in secula seculorum!
amen.
[img]http://primanocte.at/jmo/images/stories/doomis_lustige_spieleecke/pn-signatur_vorstand3.gif[/img]

Wilhelm von Baumgarten
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Re: Texte und Dichter

Beitrag von Wilhelm von Baumgarten » Fr Jun 24, 2016 11:47 am

Frau Ava (+ 1127)


Das jüngste Gericht


Nu sol ich rede rechen vil vorhtlîchen
von dem jungisten tage, alse ich vernomen habe,

unde von der êwigen corone, die got gibet ze lône
swelhe wole gestrîten an dem jungisten zîte.


Finfzehen zeichen gescehent, sô die wîsten jehent.
wir nevernâmen nie niht mêre von sô bitterme sêre.
sô bibenet allez daz der ist, sô nâhet uns der heilige Crist


An dem êrsten tage sô hebet sich diu chlage,
sô wirt daz zeichen dâ ze stunt, diu wazer smiegent sich an den grunt
vierzech clafter iz în gêt, einen tach iz alsô gestêt.


An dem anderen tage, daz sule wir iu sagen,
sô gêt iz aver wider ûz, vil hôhe leinet iz sich wider ûf.


sô biginnet iz bellen mit michelen wellen,
daz iz alle die hôrent, die den sin dare chêrent.
uber elliu diu rîche, sô stêt iz vorhtlîchen.


An dem driten tage, alse ich vernomen habe,
sô wider fliuzet ob der erde daz wazer al ze berge.


wider gêt im der strâm, daz sihet wîp unde man.
sô trûret allez daz der ist, wande daz urteile nâhen ist.

An dem vierden tage sô hevet sich diu chlage,
sô hevet sich von grunde viske unde allez merwunder.
ob dem mere si vehtent, vil lûte si brahtent.

sô wirt des luzel rât swaz flozen unde grât hât.

An dem vinften tage sô wirt ein mêre chlage.
sô hevet sich daz gevugele, daz ê flouch under himele
ûfen daz gevilde, iz sî zam oder wilde.
si wuofent unde weinent mit michelem gescreie.

si bîzzent unde chrouwent, ein ander si houwent.
des tages harte zergât, swaz vettech unde chlâ hât.

Sô chumet vil rehte mit sêre tach der sehste.
der himel sich verwandelôt, er wirt tunchel unde rôt.
an dem mânen unde an dem sunnen siht man michel wunder.

der tach wirt alse vorhtlich, in die erde bergent si sich.

An dem sibenten tage sô wirt der luft al enwage.
sô vihtet an daz trum, die winde an daz firmamentum,
diu wazer dar widere diezent under dem himele.
[an dem mânen unde an dem sunnen sihet man michel wunder.]

sô hôret man dicke doner unde blicke.
sô chrimmet sich ze wâre der arme suntâre,
deme sîn gewizzede daz saget, daz er gotes hulde niene habet.

An dem ahtoden tage sô wirt diu erde elliu enwage.
an der stunde si erweget sich von grunde.

sô nemach niwiht des gestan, des ûf der erde sol gân.
sô trûret wîp unde man, si nemach getrôsten nieman.

An dem niunten tage, alse ieh vernomen habe,
brestent die steine, daz gescihet vor dem urteile.
si chlibent sich envieren, sô zergêt iz allez sciere,

daz vurhtet wîp unde man unde swer sich iht verstên chan.

An dem zehenten tage, vil luzel sul wir daz chlagen,
sô zevallent die burge, die durch ruom geworht wurden.
berge unde veste, daz muoz allez zebresten.
sô ist got ze wâre ein rehter ebenâre.

An dem einleften tage, des sul wir unsich wol gehaben,
sô zergêt vil sciere, da diu werlt mit ist gezieret:
golt unde silber unde ander manech wunder,
nusken unde bouge, daz gesmîde der frouwen,
goltvaz unde silbervaz, chelche unde chirchscaz.

sô muoz daz allez zergân, daz von listen ist getân.
nu wizet, daz iz wâr ist, iz zergêt unde wirt ein valewisk.

An dem zwelften tage, sô hilfet uns daz vihe chlagen.
sô diu tier gênt ûz dem walde wider daz vihe ûf dem velde,
vil lûte si rêrent, sô si zesamene chêrent

mit lûteme gescreie ingegen dem urteile.

An dem drîzehenten tage sô nemach sich niemen wol gehaben.
sô tuont sich diu greber ûf, diu gebaine machent sich dâr ûz
alle gemeine ingegen dem urteile.
iz ist allen den forhtlîch, die gewizzen sint der sunden ane sich.

An dem vierzehenten tage sô wirt diu biterste chlage.
sô gênt diu liute alle ûz, ir nebestêt neheinez in deme hûs.
si wuofent unde weinent mit lûteme gescreie.
in dem selben dinge sô zergênt in die sinne.
sô nemach nieman gesagen dienôt, diu ist in den tagen,

uber swen got des verhenget, daz sich sîn leben dar gelenget.

Sô chumet der vinfzehente tach, sô nâhet uns der gotes slach.
sô sculn alle die ersterben, die der ie geborn wurden,
alle gemeine vor dem urteile.
sô hevent sich vier winde in allen den enden.

ein fiur sich enbrennet, daz dise werlt verendet.
daz liuteret iz allez. sô brinnet stein unde holze,
wazzer unde buhele, die der sint under dem himele.
sô chumt der jungiste tach alsô sciere sô ein brâslach.

Sô choment von Christe die vier êvangeliste.

daz gebeine si chukent, die tôten si wekent.
sô samenent sich mit êren lîp unde sêle.
daz ist vil wunnechlîch, die guoten sint dem sunnen gelîch.
die engel vuorent scône daz criuce unde die corône
vor Christe an daz tagedinch, daz werdent sorchlîchiu dinch.

Sô chumet Christ der rîche vil gewaltichlîchen,
der ê tougen in die werlt quam: dâ sihet in wîp unde man.
im ist sîn scare vil breit, wâ er die versmâcheit leit
von sînen vîanden, dâ wil er iz anden.

Sô chumet got in den luften in sîner magencrefte.

sô rihtet er rehte dem hêrren unde dem chnehte,
der frouwen unde der diuwe; sô ist ze spâte diu riuwe,
die wir haben solden, ob wir genesen wolden.
sô werdent die vil harte gêret, die hie von der werlt chêrent.
die sizent dâ ineben gote in der scare der zwelfpoten.

wande si durch gotes minne verchurn werltlîche wunne.
die sint alle geheiligôt, die wirseren sint erteilôt.

Sô wirdet der vil guot rât, die die werlt gezogenlîchen hânt,
die gotes nie vergâzen, dô si ze wirtscefte sâzen.
doch wil ich iu sagen da bî, wie der leben sol getân sîn.

Si sulen got minnen von allen ir sinnen,
von allem ir herzen, in allen ir werchen.
si sulen wârheit phlegen, ir almuosen wol geben,
mit mâzen ir gewant tragen, mit chûske ir ê haben,
bescirmen die weisen, die gevangen lôsen.

si sulen den vîanden vergeben, gerihtes âne miete phlegen,
den armen tuon gnâde, die ellenden vâhen.
si sulen ze chirchen gerne gên. bîhte unde buoze bestên.

Swer niht vasten nemege, der sol sîn almuosen geben.
nemege er des niht gewinnen, sînen besemen sol er bringen,

dâ mite er sich reine, der ist aller sâligiste, der sîne sunde weinet.

Swer daz mit triwen begât, des wirt dâ vil guot rât.
ze dem sprichet der gotesun: «var ze miner zeswen!
venite benedicti! mines vater rîche ist iu gerihtet.»

Daz gescihet an dem jungisten zorne da sceidet sich diu helewe von dem chorne,

diu guoten ze der zesewen, daz sint die genesenen,
di ubelen ze der winstern, si werdent al gewindet
an dem vrône tenne, dar denche, swer sô welle!

Sô sprichet got mit grimme ze sînen widerwinnen.
er zeiget in sîne wunden an den vuozen unde an den henden.

vil harte si bluotent, si nemegen dâ niht widere gebieten.
von sîneme rehte sprichet er in zuo: «mînes willen newolt ir niht tuon.
ir hêtet mîn vergezzen, ir negâbet mir trinchen noch ezzen,
selede noch gewâte, ubel waren iuwere getâte.
dem tievele dienotet ir mit flîze, mit im habet diu êwigen wîze.»

Dâ ist der tievel von helle mit manegeme sînem gesellen,
sô vâhet er die armen, vil luzel si im erbarment.
mit chetenen unde mit seilen, er bintet si algemeine.
er fuoret si mit grimme zuo anderen sînen gesinden
in den êwigen tôt, âne twâle lîdent si iemer nôt.

mit peche unde mit swebele dâ dwinget si furder des tieveles ubele.

Dâ nehilfet golt noch scaz. ê bedahten wir iz baz!
dâ ist viur unde swebel. wir sturben gerne unde muozen leben.
durst unde hunger, aller slahte wunder,
frost unde siechtuom gêt uns alle tage zuo.

fiurîn gebende dwinget uns die hende,
machet uns die vuoze harte unsuoze.
mit viurvarwen seilen bindet man si beide.
man scenchet uns den wîn, des wir gerne ubere mohten sîn,
ezzich unde gallen sam si viures wallen.

ezzen haizen si uns gebent, daz ist pech unde swebel.
vil grôz wirt unser smerze, die wurme ezzent uns daz herze.
daz ist uns gewizzenheit, diu tuot uns alsô michel leit.

[Si stechent uns zedem nabele. mit eisnînen gabelen.
ir angesiht tuot uns vil wê guot wær uns mohte wir zergên

durch smæh geluste stechent sí uns an di bruste.
eínen worm haizzet aspis, des sult ir sin vil gewis.
der ander basiliscus, der gilt unrehtez huos.
diu wír ofte taten, do wir sín stat heten.
aítter daz grune, des git er uns genuge.

er spiet ez índen munt. er tuot uns alt sunde chunt.
die wir níht chlagten den bîhtern di wir haten.
daz gesun der ubeln geiste daz ist witze aller meist.
vil michel weínen mít allen nôten ettwene sehent si di toten.
in abrahames parme daz habent si ze harme.]


Sô der tievel danne gevert, vile wol unser dinch vert.
sô scînet uns scône diu edele persône.
sich zaiget got mit minnen allen sînen chinden.
sô sint die arbeite fure, sô singe wir zwire
alleluja, daz frôsanch, wir sagen got gnâde unde danch,

wir loben gotes êre mit lîbe unde mit sêle.

Sô vâhet ane, daz ist wâr, Jubileus, daz guote wunnejar.
sô beginne wir minnen di inren sinne,
vernunst unde ratio, diu edele meditatio.
dâ mit erchenne wir Crist, daz er iz allez ist.

sô habe wir vil michel wunne, sô sî wir siben stunde scôner denne der sunne.
zuo der selben scône sô gibet uns got ze lône
eine vil stâtige jugent unde manige hêrlîche tugent.
wir suln starche werden. wolten wir di berge
zebrechen alse daz glas, ze wâre sag ich iu daz,

die craft habent dâ diu gotes chint, die hie mit flîzeo guot sint.


Dâ habe wir daz êwige lieht, neheines siechtuomes nieht.
dâ ist diu veste winescaft, diu milteste trûtscaft,
diu chunechlîche êre, die haben wir iemer mêre.
daz unsagelîche lôn in dem himeliscen trôn

habent die gotes erben, die dâ nâch wolten werven.
enphliehe wir hie die sunde, wir sîn dâ sneller denne die winde.


Nu vernemet alle dâ bî: dâ sît ir edele ulule frî,
dâ nedwinget iuch sunde noch leit, dâ ist diu ganze frîheit.
dâ ergezet uns got sciere aller der sêre,

die wir manege stunde liten in ellende.

Dâ ist daz êwige leben, daz ist uns alzoges gegeben,
Crist, unser hêrtuom, unser vernunst unde unser wîstuom.
der ist gechêret an in, vil edele ist unser sin.
unser herze unde unseriu ougen sehent die gotes tougen.

vil zierlîch wirt daz selbe lieht, iz newirt zerganclîch nieht.

Daz habent allez diu gotes chint, diu hie diemuote sint,
diu ir scephâre lobent unde hie ir vîanden vergebent.
diu versmâhent hie nidene, swie sô sî dâ ze himele
mit gote geren ze habene, dâ ist vil guot ze lebene.

dâ wirt ir geloube ain wârheit, ir gedinge mit habenne ein sicherheit,
ir minne vil innechlîche, si sint den engeln gelîche.
daz habent si âne ende. nu weset vil wol gesunde
in der selben râwe, dar muozet ir chomen. Amen.

Dizze buoch dihtôte zweier chinde muoter.

diu sageten ir disen sin. michel mandunge was under in.
der muoter wâren diu chint liep, der eine von der werlt sciet.
nu bitte ich iuch gemeine, michel unde chleine,
swer dize buoch lese, daz er sîner sêle gnâden wunskende wese.
unde dem einen, der noch lebet unde der in den arbeiten strebet,

dem wunsket gnâden und der muoter, daz ist AVA.
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Wilhelm von Baumgarten
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Re: Texte und Dichter

Beitrag von Wilhelm von Baumgarten » Fr Jun 24, 2016 12:37 pm

Frau Ava
(geb. ~1060, gest. 7.2.1127)


Frau Ava ist die erste namentlich bekannte Dichterin in deutscher Sprache. Im Jahr 2002 wurde ihr 875. Todestag gefeiert, ihr Name ist erst seit etwa 150 Jahren bekannt. Sie verfasste fromme Dichtungen und nennt sich selbst am Schluss eines ihrer Gedichte, des "Jüngsten Gerichts": "Dieses Buch dichtete die Mutter zweier Kinder ... Das ist AVA." Aus dem Gedicht erfährt man, dass sie von ihren zwei Söhnen theologische Belehrung erhielt und einer von ihnen bereits gestorben sei. Sonst ist allerdings nur wenig über sie bekannt.

Die Melker Annalen vermerken zum Jahr 1127 den Tod einer Inkluse Ava: "MCXXVII Ava inclusa obiit." Name und Todestag finden sich auch in den Klöstern Garsten, Klosterneuburg, St. Lambrecht und Zwettl verzeichnet, was darauf schließen lässt, dass diese Inkluse Ava eine bekannte Persönlichkeit war und ihr Wirken im Raum Niederösterreich anzusiedeln ist, möglicherweise in der Umgebung Melks. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind die Autorin der Dichtungen und die offenbar bekannte Inklusin ein und dieselbe Person, die, wie sich aus den biografischen Angaben der Dichterin ergibt, einst ein weltliches Leben geführt und sich später ins Kloster zurückgezogen hat.

Inklusen waren fromme Frauen, die ihre Zellen in unmittelbarer Nähe kirchlicher Institutionen errichteten, angebaut an Pfarr- und Klosterkirchen und oft mit diesen durch ein Fenster verbunden, um der Liturgie zu folgen. Inklusen haben sich zur Zeit Avas auch bücherschreibend betätigt, möglicherweise lehrten sie sogar. Es war zudem keine Seltenheit, dass sich Frauen erst im höheren Alter einem Kloster als Inkluse anschlossen. Das aus dem Text gewonnene Bild der Dichterin passt daher in den Kontext einer Inkluse.

Nach einer wohl erst im 19. Jahrhundert entstandenen Tradition stand Ava in enger Beziehung zu Göttweig. Einer ihrer Söhne soll mit Hartmann, dem ersten Abt Göttweigs (1094-1114) ident gewesen sein, was allerdings bislang nicht bewiesen werden konnte. Auch das so genannte "Ava-Haus" in Kleinwien (Avastraße 7), heute nicht mehr im Besitz des Stiftes Göttweig, in dem sie gelebt haben soll, und der steinerne "Ava-Turm", in dem sie angeblich starb, entstammen wohl eher einer romantischen Tradition.

Ava verfasste Bibeldichtung: Sie beginnt ihren Gedichtzyklus dem Kirchenjahr folgend mit "Johannes", der Geschichte des Täufers von der Geburt bis zur Enthauptung, gefolgt vom "Leben Jesu" von der Geburt bis zur Passion, Auferstehung und HImmelfahrt , wobei neben den biblischen Berichten auch zeitgenössische Gedanken der Alltagsreligiösität Niederschlag fanden. Der das "Leben Jesu" abschließende Teil nennt sich "Die sieben Gaben des Heiligen Geistes" und setzt, ausgehend vom Pfingstgeschehen, diese sieben Gaben mit den sieben Seligpreisungen in Verbindung. Mitunter wird dieses Gedicht auch als eigenes ausgewiesen. Im "Antichrist" schildert Ava die Zukunftsvision von der Herrschaft des Antichristen, mit der Wiederkunft Christi und dem Weltgericht im "Jüngsten Gericht" schließt ihr Werk, das insgesamt 3.400 Verse umfasst.

Der Inhalt ihrer Dichtungen zeigt sie als welterfahrene Frau, die versucht, dem Laienpublikum geistliche Lebensorientierung zu vermitteln. Die Vorstellungen von einem gottgefälligen Leben, die sie den Leserinnen und Lesern nahe zu bringen versucht, sind voller realitätsbezogener Anspielungen, wirken lebensnah und zeigen die Dichterin als Frau, die Stärken und Schwächen ihrer Mitmenschen richtig einzuschätzen wusste.
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Re: Texte und Dichter

Beitrag von Stollentroll » Fr Jun 24, 2016 12:54 pm

Vorlagen zum Schreiben! Danke! :)
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Wilhelm von Baumgarten
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Re: Texte und Dichter

Beitrag von Wilhelm von Baumgarten » So Jun 26, 2016 10:48 am

Bitte, gerne !

Kommt eh noch mehr - da kannst bald ein Buch füllen.
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Wilhelm von Baumgarten
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Re: Texte und Dichter

Beitrag von Wilhelm von Baumgarten » Mo Jun 27, 2016 10:37 am

Jetzt mal ein "Allrounder" aus dem 13. Jhd.:

Der Marner (Schwaben)


Der tatsächliche Name ist nicht überliefert.
Er war ein Wanderdichter und Sänger, der in seinen Texten eine solide Schulbildung erkennen lässt.
Um 1270 wurde er, während des Interregnums, ermordet.
Er verfasste Minnelieder, Fabeln, Sangsprüche und auch fünf lateinische Dichtungen hat er hinterlassen. Seine Lieder sind
in den Jahren zwischen 1220 und 1270 entstanden.

Der Marner wurde zu den zwölf alten Meistern gezählt


1.
"Guot wahter wîs,
dû merke wol die stunt,
sô die wolken verwent sich
und werdent grîs:
die zît tuo mir kunt,"
sprach ein frouwe minneclich.
"Warne ob ich entslâfen bin,
sô daz der ritter vor der argen huote kume hin;
kius den morgensterne,
sanc der kleinen vogellîn.
ich waere gerne
langer hie; des mac niht sîn.
er liebet wol dem herzen mîn."

2.
Der wahter schiet
oben ûf die zinne dan.
dô der tac die wolken spielt,
ein tageliet
in der wîse vienc er an:
"saelde ir beider mâze wielt.
Troie wart zerstoeret ê,
Tristranden wart von minne Isalden dicke wê,
noch hât Minne werden
man, der wirbet frouwen gruoz,
dem sol er werden,
ob ich alsus warten muoz:
ez ist vor tage nicht einen vuoz."

3.
Diu liebe entslief,
wan si was vermüedet sô,
daz diu frouwe zuo dem man
sich umbeswief.
wahte dâ diu minne dô,
sô kumt wol der ritter dan.
Minne lache, unminne habe unminne;
entsliuz dû, Minne, tuo daz slôz mit fuogen abe.
diu zît meldet, melde
kumt, diu selten ie gelac.
an minne gelde
hât unminne noch bejac.
"nû wol ûf, ritter, ez ist tac."

1.
"Lieber kluger Wächter,
gib genau acht auf die Zeit,
wenn die Wolken sich verfärben
und grau werden,
und melde es mir",
sagte eine liebreizende Dame.
"Warne uns, wenn ich eingeschlafen bin,
damit der Ritter unbemerkt von den feindseligen
Aufpassern davonkommt. Achte auf den
Morgenstern und den Gesang der kleinen Vögel.
Ich bliebe gern länger hier,
aber das ist unmöglich.
Er gefällt mir sehr."

2.
Der Wächter stieg
daraufhin auf die Zinne hinauf.
Als der Tag durch die Wolken drang,
begann er folgendes
Tagelied zu singen:
"Diese beiden hielten Maß in ihrem Liebesglück.
Troja hingegen wurde erstmals zerstört, und
Tristan stürzte die Liebe zu Isolde häufig in tiefes
Leid. Noch hält die Liebe einen edlen Mann fest,
der um die Zuneigung einer Frau wirbt.
Die soll er erhalten,
wenngleich ich erkennen kann,
es wird bald Tag."

3.
Die Geliebte war eingeschlafen,
denn sie war nach dem Liebesspiel sehr müde
geworden. Wäre sie wach, käme der Ritter
wohlbehalten davon.
Wahre Liebe soll fröhlich sein,
falsche Liebe sei verhasst.
Löse du, Frau Minne, ihre innige Umarmung
auf angemessene Weise.
Es ist soweit, Frau Melde kommt,
die noch niemals geruht hat.
Bei einer kostbaren Liebe sind Hass
und Feindschaft immer noch auf Beute aus.
"Steht jetzt auf Ritter, es ist Tag."




Sing ich dien liuten mîniu liet,
sô wil der êrste daz
wie Dieterîch von Berne schiet, der ander,
wâ künc Ruother saz, der dritte wil der
Riuzen sturm, sô wil der vierde Ekhartes nôt,
Der fünfte wen Kriemhilt verriet,
dem sehsten taete baz war komen
sî der Wilzen diet. der sibende wolde
eteswaz Heimen ald hern Witchen sturm,
Sigfrides ald hern Eggen tôt. Sô wil der
ahtode niht wan hübschen minnesanc.
dem niunden ist diu wîle bî den allen lanc.
der zehend enweiz wie, nû sust nû sô,
nû dan nû dar, nû hin nû her, nû dort nû hie.
dâ bî haete manger gerne der Nibelunge hort.
der wigt mîn wort ringer danne ein ort:
des muot ist in schatze verschort.
sus gât mîn sanc in manges ôre, als der mit
blîge in marmel bort. sus singe ich unde
sage iu, des iu niht bî mir der künec enbôt.


Singe ich den Leuten meine Lieder,
so wünscht der erste zu hören,
wie Dietrich von Bern ins Exil ging, der andere,
wo König Rother saß; der dritte möchte vom
Russen-Kampf hören, der vierte Eckharts Not,
der fünfte, wen Kriemhild verraten hat,
dem sechsten wäre es am liebsten zu hören, was aus
den Wilden geworden sei; der siebte möchte
etwas hören vom Kampf Heimes oder Herrn Witichs,
vom Tod Siegfrieds oder Eckes. Der achte jedoch
wünscht nur höfischen "Minnesang". Dem neunten
aber wird es bei allem langweilig. Der zehnte kann
sich nicht entscheiden: mal so, mal anders; mal hier,
mal da; mal hin, mal her; mal dort, mal hier.
Mancher besäße gerne etwas vom Nibelungen-Hort:
Der schätzt meine Worte ganz gering ein:
sein ganzes Denken ist auf Geld gerichtet. So dringt
mein Gesang vielen ins Ohr, wie wenn jemand mit
Blei in Marmor bohrt. So singe und sage ich euch,
was für euch bei mir nicht der König verlangt hat.




Wê dir von Zweter Regimâr!
dû niuwest mangen alten funt.
dû speltest als ein milwe ein hâr,
dir wirt ûz einem orte ein pfunt,
ob dîn liezen dich niht triuget.
dir wirt ûz einem tage ein jâr,
ein wilder wolf wirt dir ein hunt,
ein gans ein gouch, ein trappe ein star,
dir spinnet hirz dur dînen munt:
wâ mit hâstû daz erziuget?
ein lüg dur dîne lespe sam ein slehtiu wârheit vert.
dû hâst den vischen huosten, krebzen sât erwert.
bî dir sô sint driu wundertier:
daz ist der gît,
haz unde nît.
dû dœnediep,
dû briuwest âne malz ein bier:
supf ûz! ir ist ein lecker liep,
der den herren vil geliuget.

Weh dir, Reinmar von Zweter!
Du möbelst so manches alte Lied wieder neu auf.
Du spaltest wie eine Milbe ein Haar auf,
du machst aus einem Viertel ein Pfund,
wenn deine Wahrsagerei dich nicht trügt.
Dir wird aus einem Tag ein ganzes Jahr,
ein Wolf wird dir zu einem Hund,
eine Gans ein Kuckuck, eine Trappgans ein Star,
dir spinnt der Hirsch dank deinem Mund:
womit kannst du das beweisen?
Eine Lüge fährt über deine Lippen wie eine schlechte
Wahrheit. Du hast den Fischen Husten, den Krebsen
Samenkorn verweigert. Bei dir sind drei Wundertiere:
das ist der Geiz,
Hass und Neid.
Du Tönedieb,
du brauest ohne Malz ein Bier:
Sauf aus! Dem wird eine leckere Freude zuteil,
der den Herren viele Lügen aufgetischt hat!




Merkent an die kleine âmeiz:
sô si den winter vor ir weiz,
samnet in des sumers ernde kündeclîche ir
spîse. sam tuo, dû mensche, und bûwe enzît.
ein starker winter ûf dir lît, der machet
dich in sorgen alt und in dem alter grîse.
dû macht hie bûwen unde sæn mit guoten
werken gegen gote und dînem ebenkristen
daz dû maht snîden unde mæn und ouch
dich dort gein dînem hôhen hêrren maht
gefristen, sô dû den zins ze hove gîst,
die sêle gote, und dû in armen melwe
begraben lîst: dû schaffez sô,
daz dîn diu sêle warte im paradîse.


Merkt an der klugen Ameise:
wenn sie weiß, der Winter steht bevor,
sammelt sie mit der Sommerernte voraussorgend
ihre Nahrung. Genau so verhalte dich, du Mensch,
und bestelle rechtzeitig das Feld.
Ein schwerer Winter liegt vor dir, der macht dich
mit Sorgen traurig und im Alter grau.
Du kannst hier das Feld bestellen und säen und zwar
mit guten Werken gegenüber Gott und deinen
Mitchristen, indem du ernten kannst und mähen und
dich auch gegenüber deinem Patron behaupten kannst,
die Seele aber Gott anvertraust. Und wenn du einst im
grauen Staub begraben danieder liegst: richte du es
so ein, dass deine Seele Anwartschaft habe im Paradies.




Ez nâhet gein der suone tage,
daz got wil süenen alle klage.
wir haben niht gewisses für des tôdes offenunge.
wiltû dem tôde entrinnen dort, sich mensch,
vernim daz gotes wort, erfülle mit den
werken, daz dû sprichest mit der zunge.
wie snel ist eines ougen blic, sô snel ist dâ
ze Jôsaphat des algerihtes ende.
die rehten füerent dâ den sic, sô windent die
vertânen dâ vil jæmerlîch ir hende.
die müezen in des tievels kewen;
dâ sint si lebende in jâmer tôt von êwen
unze êwen. dâ samne uns gotes güete zuo der
rehten samenunge.


Es naht die Zeit des Jüngsten Gerichts,
an dem Gott alle Not beseitigen wird. Wir haben
keine Gewissheit über den Eintritt des Todes.
Willst du den Tod dann dort entrinnen, wache auf,
Mensch, vernimm Gottes Wort, erfülle mit Werken,
was deine Zunge versprochen hat.
Wie schnell ist doch ein Augenblick – so schnell ist
dann das Weltgericht da.
Die Rechtschaffenen bestehen sie siegreich, während
die Verfluchten in Jammer ihre Hände flechten.
Sie müssen in den Rachen des Teufels; dort sind
sie in ihren Jammer lebendig tot auf alle Ewigkeit.
Gottes Güte möge uns dort zur ewigen Vereinigung
zusammen führen.




Lebt von der Vogelweide
noch, mîn meister hêr Walthêr,
der Venis, der von Rugge, zwêne Regimâr.
Heinrich der Veldeggære, Wahsmuot,
Rubîn, Nîthart! Die sungen von der heide.
von dem minnewerden her, von den vogeln,
wie die bluoem sint gevar: sanges meister
lebent noch: si sint in tôdes vart.
die tôten mit den tôten, lebende mit den
lebenden sîn! ich vorder ie zuo ze geziuge
von Heinberc den herren mîn
- dem sint rede, wort und rîme in sprüchen
kunt -, daz ich mit sange nieman triuge.
lîhte vinde ich einen vunt, den si vunden
hânt, die vor mir sint gewesen.
ich muoz ûz ir garten und ir sprüchen
bluomen lesen.

Ach, lebte doch der von der Vogelweide
noch, mein Meister, Herr Walther,
Rudolf von Fenis, der von Rugge, zwei Reinmare,
Heinrich von Veldeke, Wachsmut,
Rubin, Neidhart! Die sangen von der Heide, von der
liebenswürdigen Schar der Damen, von den Vögeln und
wie die Blumen gemustert sind: die Meister der
Sangeskunst leben noch: sie stehen aber am Rande
des Todes. Die Toten sollen mit den Toten, die Lebenden
mit den Lebenden sein. Ich nominiere schon immer als
Zeugen den von Heinberg, meinen Herren
- dem sind Vorträge, der Inhalt und die Strophenform
meiner Sangsprüche bekannt, - dass ich mit meiner
Sangeskunst niemand betrüge. Leicht mache ich einen
aus, den Vorgänger schon für sich entdeckt haben.
Ich muss aus ihren Gärten und ihren Sangsprüchen
die Kostbarkeiten herauslesen.




Die tier zesamen kâmen,
und wolten einen künec weln:
eln und ûren, wisent und helfant, lewen unt bern,
hirz und einhorn. swaz vier beine hât, des kam
vil aldar mislîchen kriec sie nâmen,
des enkam ich niht erzeln.
ein krote diu kam ouch dar; diu wolte niht enbern,
si wære an der wal. des nâmn die tier dur
spotten war. si sprach: "ich hân ouch vier bein,
ich wil daz künicrîch."
der lewe sprach: >bôsheit, var verwâzen!
dû bist tieren niht gelîch.<
noch grôzer si sich blât, hie mite si gar zerbarst.
diz bîspel kumt nû den ze mâzen,
die êren gernt und sint ir gast,
dâ von daz natûre an in niht tugende treit;
swâ frô Êre wol gevert,
daz ist frô Schanden leit.

Die Tiere kamen zusammen
und wollten einen König wählen:
Elche und Auerochsen, Wisent und Elephant, Löwen
und Bären, Hirsch und Einhorn. Alles was vier
Beine hat, kam dahin. Unangenehmen Streit
hatten sie, von dem ich nichts erzählen will.
Eine Kröte kam auch hinzu; die wollte darauf
verweisen, sie wäre an der Wahl. Nur mit Spott
vernahmen das die Tiere. Sie sagte: "Ich habe
auch vier Beine, ich will das Königreich."
Der Löwe sprach: >Bosheit, sei verflucht!
Du bist den Tieren nicht gleich.<
Noch mehr blähte sie sich auf, wodurch sie ganz
zerplatzte. Diese Fabel kommt denen entgegen,
die nach Ehre verlangen und ihr willkommen sind
und deren Natur sie nicht hindert, Tugenden zu
haben: wo immer es Frau Ehre gut geht,
geschieht Frau Schande Leid.




Wer kan den liuten lüge erwern?
lüg ist ein alter hort;
mit lüge muoz sich vil maneger nern.
lüg hât gestiftet mangen mort.
lüg hât einen argen vater,
lüg hât tumber kinde vil.
lüg hât sich als ein weich wahs bern;
lüg hât vil süeziu wort,
mit lüge kan manger eide swern.
lüg hât manic spitzic ort:
lüge ist ein vil snellez übel,
lüg ist der bœsen geiste spil.
lüge ist in dem wazzer,
lüge ist komen über mer,
lüg hât gein der wârheit ein vil breitez her,
lüg kumt an bâbest tür,
lüg wont ouch schœnen frouwen bî,
man treit ouch lüge den vürsten für.
lüg ist in dörfen und in bürgen,
lüge ist in der stat.
lüg hât den pfat den der tiuvel trat,
dô er Âdâmen ezzen bat den apfel:
lüg gît mangem schâch,
lüg spilt ûf maneges tôren mat.
lüg hât sâmen unde krût,
des wurze niht erdorren wil.

Wer vermag den Menschen die Lüge zu verbieten?
Lüge ist ein lang aufgehäufter Schatz;
mit Lüge müssen viele ihr Brot verdienen.
Lüge hat so manchen Mord verursacht.
Lüge hat einen bösen Vater,
Lüge hat viele törichte Kinder.
Lüge lässt sich wie weiches Wachs formen;
Lüge kennt viele verführerische Worte;
mit Lüge können manche Eide schwören.
Lüge hat viele markante Orte:
Lüge breitet sich sehr rasch aus,
Lüge ist böser Geister Zeitvertreib.
Lüge ist im Wasser,
Lüge ist übers Meer zu uns gekommen,
Lüge bietet gegen die Wahrheit eine starke Streitmacht auf,
Lüge dringt bis zum Papst vor,
Lüge ist auch schönen Frauen eigen,
Lüge trägt man auch den Fürsten vor.
Lüge ist in Dörfern und Burgen,
Lüge ist in der Stadt.
Lüge ist von der Art, die der Teufel verfolgte,
als er Adam zum Essen des Apfels verführte:
Lüge bietet manchem Schach,
Lüge ist auf das Matt manches Toren aus.
Lüge hat Samen und Blätter,
deren Wurzel nicht verdorren wird.




Dû blüende gerte Arônes,
diu sünde nie bekort,
dû sippe Salomônes;
die dîn geburt schuof uns ein wort.
der werlte hort; dû trüege ân alle swære.
daz was der werde reine,
der süeze Altissimus,
den dû geboren al eine,
und leitest an in manegen kus.
er schuof ez sus, daz dû meit in gebære.
wol uns, daz er ie wart geborn!
ûz al der werlte hât er dich ze muoter im
erkorn. von dîner liebe wart versüenet der
alte zorn, den uns Êvâ brâhte ân alle schulde.
da genuzzen wird der güete dîn: des muoz
dîn lop im himelrîch vor allen megden sîn.
dû bist ein helfærîn uns, frouwe mîn,
daz wir verdienen dînes kinde hulde.

Du blühender Zweig Aarons,
die du Sünde nie kanntest,
du, aus der Familie Salomons;
deine Geburt schenkte uns Segen.
Du, Schatz der Welt, du wurdest ohne alle
Beschwernis schwanger. Das war der kostbare Reine,
der liebliche Allerhöchste,
den du ganz allein gebarst
und ihn mit vielen Küssen bedachtest.
Gepriesen seien wir, dass er je geboren wurde!
Gott bewirkte, dass du als Jungfrau ihn gebären sollst.
Aus der gesamten Menschheit hat er dich als Mutter
für ihn erwählt. Deine Liebe sühnte die alte Last,
die uns Eva ohne Absicht auf uns brachte.
Da kamen wir in den Genuss deiner Güte:
deshalb gebührt dir Preis im Himmel vor allen Jungfrauen.
Du bist eine Helferin; nun hilf uns, meine Herrin,
dass wir die Gnade deines Kindes verdienen.




Sünder, besich die strâzen
in der werlte, war sî gân,
wannen dû sîst komen ald wie dîn leben sî,
war dû wellest, sô dû mit der werlte für dich
verst. sich, wie si hât gelâzen
die, die si niht wolden lân: lâ diu werlt,
ir wont ein bitter ende bî; sich für dich
die strâze, wie dû die zem tôde kêrst.
sich hinder dich, wie nôt dir von dem reinen
schepfer ist, des lîp sich an das kriuze hêre
für unsich bôt, der süeze Krist.
wiltû des gedenken, waz er dur dich leit,
sich über dich, waz wunne und êre
dir ze himel ist bereit;
under dir besich die iemerwernden nôt
in der helle; schiuhe und fliuch den êweclîchen tôt.

Sünder, sieh dir die Straßen
in der Welt an, wohin sie führen, woher du
gekommen bist oder wie dein Leben verläuft,
wohin du willst, wenn du dich mit der Welt einlässt.
Sieh doch, wie hat sie diejenigen im Stich gelassen,
die nicht von ihr ablassen wollten:
lass die Welt, ihr ist ein bittres Ende eigen;
sieh vor die Straße, die du zum Tode wählst.
Sieh hinter dich, wie nötig du den Schöpfer hast,
dessen Leib um unsretwillen an das hohe Kreuz
sich darbot, der herrliche Christ.
Wenn du das bedenkst, was er um deinetwillen litt,
dann sieh über dich, was an Freuden und Ehre
für dich im Himmel bereitet sind;
sieh unter dir die immerwährende Qual
in der Hölle; meide und fliehe den ewigen Tod.





Ich wil die minne strafen,
si swachet ir eren ein teil.
swa si wol solde slafen,
da wachet si uf ir unheil.
ich tuen ir mit rede gewalt,
das ist ir widerwinne.
si vert usserthalb der mâsse
und ist genant unminne.
minne ist unstete vri.
swa sich du rose erzeiget,
da reiget der dorn an das zwi.

Ich will die Liebe schelten,
sie bringt sich um die Ehre.
Zu ihrem eigenen Schaden wacht sie,
wo sie ruhen sollte.
Ich schmähe sie mit Worten,
das ist ihr zuwider.
Sie ist maßlos und muss
das Gegenteil von Liebe heißen.
Wahre Liebe kennt keine Unbeständigkeit.
Aber auf dem Zweig, auf dem sich die Rose zeigt,
macht sich auch der Dorn breit.




Es hat du starke gotes kraft
mit wunderlicher meisterschaft
geziehet wol der sternen kreis,
den sunnen und die manen.
du bist gebildet, mensche, nach im.
du sitze, du stant, du wat, du swim,
du solt dich siner helfe niemer vreuenliche
entanen. sin hoehe, diu ist dir ze hoh,
sin wite ze breit, sin grunt ze tief,
sin lenge sich dir lenget.
der erste mensche sin lere floch,
da von wart er us paradyses froeiden
her gepfrenget in dirre werlte unfroeiden
kamer; da von uns twinget noch des
fluoches zange und sleht der hamer:
wir muessen unser spise in sweize von der
erden ianen.

Die gewaltige Macht Gottes
hat in wunderbarer Meisterschaft
dem Sternenrund, der Sonne und dem Mond
ihre Bahnen aufs genaueste zugemessen.
Du, Mensch, bist nach seinem Vorbild gestaltet.
Ob du nun sitzt, stehst, watest, schwimmst,
seiner Hilfe sollst du dich niemals mutwillig
entschlagen. Seine Höhe ist zu hoch für dich,
seine Weite zu weit, seine Tiefe zu tief,
seine Länge zu ausgedehnt.
Der erste Mensch entzog sich seinem Gebot,
deshalb wurde er aus den Freuden des Paradieses
hinaus in das jammervolle Gehäuse dieser Welt
verstoßen; von daher hält uns noch heute die Zange
des Fluches in ihrem Griff und schlägt uns sein Hammer:
Im Schweiß müssen wir unsere Nahrung der Erde
abgewinnen.
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Wilhelm von Baumgarten
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Re: Texte und Dichter

Beitrag von Wilhelm von Baumgarten » Mi Jun 29, 2016 7:14 am

Spervogel (ca. 1150 - 1200)



Die Überlieferung der beiden "Spervogel" ist kompliziert und umstritten! Denn unter dem Spielmannsnamen "Spervogel" sind die Arbeiten von mindestens zwei Autoren überliefert. Spervogel („Sperling“, um 1170?,ev. Herger ?) und der junge Spervogel (um 1200 oder später) zu den hochmittelalterlichen, mittelhochdeutschen Sangspruchdichtern.

Ihm ordnen jedenfalls die Liederhandschriften des 13. und 14. Jahrhunderts die älteste Sangspruchdichtung zu, während die heutige Forschung Spervogel nur den mittleren Teil des in der Manessischen Liederhandschrift überlieferten Korpus zuweist.

23 gereimte Strophen, zumeist Einzelstrophen, im selben Ton (Herger-Ton), sowie die Melodie sind von Spervogel erhalten. Die Strophen enthalten allgemeine Lebensweisheiten und waren meist an eine adlige Zuhörerschaft gerichtet.

Auf eines seiner Gedichte (um 1180/90) geht einer der frühesten Belege für den Ausdruck „Weihnachten“ zurück:

„Er ist gewaltic unde starc, der ze wihen naht geborn wart: daz ist der heilige krist.“

Die Wirkungszeiten der Sänger werden zwischen 1150-1180 (Spervogel I) und dem Ende des 12. Jhd.
(Spervogel II) angesetzt. Manche gehen aber auch von drei verschiedenen Autoren aus und sehen Herger als eigenständigen Dichter (ca. 1150 - 1170).



Spervogel/Herger

1.
Wan seit ze hove maere,
wie gescheiden waere
Kerlinc unde Gebehart.
sie liegent, sem mir mîn bart.
Zwêne brúoder die gezürnent
und underziunent den hof,
si lânt iedoch die stigelen unverdürnet.

2.
Mich müet daz alter sêre,
wan ez Hérgêrè
alle sîne kraft benam.
ez sol der gransprunge man
Bedenken sich enzîte,
swenne er ze hove werde leit,
daz er ze gwissen herbergen rîte.

3.
Wie sich der rîche betraget!
sô dem nôthaften waget
dur daz lant der stegereif.
daz sich zu bûwe niht engreif,
Dô mir begonde entspringen
von alrêst mîn bárt,
des muoz ich nû mit arbeiten ringen.

4.
Weistu, wie der igel sprach?
"vil guot ist [] eigen gemach."
zimber ein hûs, Kerlinc.
dar inne schaffe dîniu dinc.
Die hêrren sint erarget.
swer dâ heime niht enhât,
wie maneger guoter dinge der darbet.

5.
Swíe dáz wéter tuo,
dér gást sol wesen vruo.
der wirt hât truckenen vuoz
vil dicke, sô der gast muoz
Die herberge rûmen.
swer in dem alter welle wesen
wirt, der sol sich in der jugent niht sûmen.

1.
Man erzählt sich bei Hof,
dass Kerling und Gebhart
geschiedene Leute wären.
Sie lügen, bei meinem Bart!
Auch wenn zwei Brüder streiten
und den Hof mit einem Zaun trennen,
so lassen sie doch die Verbindungswege offen.

2.
Mich plagt das Alter sehr.
denn es hat den Herger
alle seine Kraft genommen.
Derjenige, dem der Bart erst keimt,
soll beizeiten dafür Vorsorge treffen,
dass er, wenn er bei Hof unbeliebt wird,
in eine sichere Behausung reiten kann.

3.
Wie gut der Reiche doch lebt!
Dem Armen aber wackelt
der Steigbügel beim Reisen.
Weil ich nicht für ein Haus sorgte,
als mir der Bart
zu sprießen begann,
deswegen muss ich jetzt mit der Not kämpfen.

4.
Weißt du, was der Igel gesagt hat?
"Sehr gut ist ein eigenes Dach!"
Darum baue ein Haus, Kerling.
Dort drinnen erledige deine Angelegenheiten.
Die Herren sind geizig geworden.
Wer kein Heim hat,
der muss viele gute Dinge entbehren.

5.
Wie auch das Wetter ist,
der Gast muss früh auf sein.
Der Hausherr bleibt oft trockenen Fußes,
wenn der Gast
die Unterkunft räumen muss.
Wer im Alter Hausherr sein will,
der muss sich in der Jugend beeilen.

Spervogel/Herger

1.
Wér sól ûf Steinsberc
würken Wernhartes werc?
hei, wie er gap unde lêch!
des er dem biderben man verzêch,
Des enmóht er niht gewinnen.
daz was der wille: kom diu state,
si schieden sich ze jungest mit minnen.

2.
Dô der guote Wernhart
an dise welt geborn wart,
dô begónde er teilen al sîn guot.
dô gewán er Rüedegêrs muot,
Der saz ze Bechelaere
und pflac der marke menegen tac.
der wart von sîner vrumecheit sô maere.

3.
Steinsberc die tugende hât,
daz ez sich nieman erben lât
wan ein, der ouch êren pfligt.
dem strîte hât ez an gesigt.
Nû hât ez einen erben:
der werden Oetingaere stam
der wil im sînen namen niht verderben.

1.
Wer wird auf Steinsberg
Weinharts Tun fortführen?
Hei, wie freigebig er war und Lehen er verteilte!
Was er dem angesehenen Mann nicht gab,
das besaß er selber nicht.
Das war die Übereinkunft. War man einig,
schied man in Freundschaft.

2.
Als der vortreffliche Weinhart
in diese Welt geboren wurde,
begann er seinen gesamten Besitz zu verteilen.
Das machte er wie der edle Rüedeger,
Der in Bechlarn lebte
und das Grenzland lange schützte.
Er wurde durch seine edle Gesinnung berühmt.

3.
Steinsberg befolgt den Grundsatz,
dass man niemand erben lassen will,
es sei denn, dieser ist auch der Ehre verpflichtet.
Der Wettstreit ist jetzt entschieden.
Nun gibt es einen Erben:
aus dem Geschlecht der geachteten Oetinger;
der wird Steinbergs Ruf nicht verkommen lassen.

Spervogel/Herger

1.
Er ist gewaltic unde starc
der ze wîhen naht gebórn wárt.
daz ist der heilige Krist,
jâ lobt in allez, daz dir ist,
Niwan der tievel eine.
dur sînen grôzen übermuot
sô wart im diu helle ze teile.

2.
In der helle ist michel unrât.
swer dâ heimüete hât,
diu sunne schînet nie sô lieht,
der mâne hilfet in nieht
Noch der liehte sterne.
jâ müet in allez, daz er siht.
jâ waer er dâ ze himel alsô gerne!

3.
In himelrîch ein hûs stât,
ein guldîn wec dar in gât,
die siule die sint marmelîn,
die zieret unser tréhtîn
Mit edelem gesteine.
dâ kúmpt níeman in,
ern sî vor allen sünden alsô reine.

4.
Swer gerne zuo der kirchen gât
unde âne nît stât,
der mac wol vroelîchen leben.
dem wirt ze jungest gegeben
der engel gemeine.
wol in, daz er íe wárt!
ze himel ist daz leben alsô reine.

5.
Ich hân gedienet lange
leider einem manne,
der in der helle umbe gât.
der brüevet mîne missetât.
Sîn lôn der ist boese.
hilf mir, heiliger geist,
daz ich mích von sîner vancnisse erloese.

1.
Er ist gewaltig und stark,
der zu Weihnachten geboren wurde.
Das ist der heilige Christ.
Ja, lobt ihn für alles, was es gibt,
außer einzig dem Teufel.
Durch seinen großen Hochmut
wurde ihm die Hölle zugewiesen.

2.
In der Hölle herrscht großes Unheil.
Wer dort seine Heimat hat,
dem leuchtet die Sonne nie hell,
der Mond hilft ihm nicht
noch der Morgenstern.
Ja, es quält ihm alles, was er sieht.
Ja, wie liebend gerne wäre er doch im Himmel!

3.
Im Himmelreich steht ein Haus,
in das ein goldener Weg hineinführt;
die Säulen sind aus Marmor;
die schmückt unser Herr
mit Edelsteinen aus.
Da kommt niemand hinein,
wenn er nicht ganz rein von Sünden ist.

4.
Wer bereitwillig in die Kirche geht
und ohne Neid ist,
der vermag froh zu leben.
Dem wird am Jüngsten Tag
die Gesellschaft der Engel zuteil.
Wohl ihm, dass er je geboren wurde!
Im Himmel ist das Leben ganz ohne jeden Makel.

5.
Ich habe nun lange
einem Manne gedient,
der in der Hölle die Macht hat.
Der stiftet mich zu Missetaten an.
Sein Lohn ist schrecklich.
Hilf mir, Heiliger Geist,
dass mir Erlösung von Gefangenschaft gelingt.

Spervogel/Herger

1.
Mich hungerte harte.
ich steic in einen garten.
dâ was obez innen,
des moht ich niht gewinnen.
Daz kom von unheile.
dicke wégt ích den ast.
mir wart des óbezès nie niht ze teile.

2.
Swâ ein gúot bóum stât
und zweier hande obez hât,
beide süez unde sûr,
sô sprichet ein sîn nâchgebûr:
"Wir suln daz obez teilen.
wirt ir einez drunder vûl,
ez bringet uns daz ander ze leide."

3.
Swel man ein gúot wîp hât
unde zeiner ander gât,
der bezeichent daz swîn.
wie möht ez iemer erger sîn?
Ez lât den lûtern brunnen
und leit sich in den trüeben pfuol.
den site hât vil manic man gewunnen.

4.
Ein man sol haben êre
und sol iedoch der sêle
under wîlen wesen guot,
daz in dehein sîn übermuot
Verleite niht ze verre,
Swenne er urloubes ger,
daz ez im an dem wege niht enwerre.

5.
Kórn sâte ein bûman,
dô enwolte ez niht ûf gân.
ime erzornte daz.
ein ander jâr er sich vermaz,
Daz erz ein egerde lieze.
er solde ez ime güetlîche geben,
der dem andern umbe sîn dienest iht gehieze.

1.
Mich hungerte sehr.
Ich stieg in einen Garten.
Dort gab es Obst;
davon konnte ich nichts haben.
Das bereitete mir Unglück.
Oftmals schüttelte ich den Ast.
Obst erhielt ich nicht.

2.
Wo immer ein fruchtbarer Baum steht
und zwei Sorten Obst trägt,
süßes und saures,
sagt dann der Nachbar:
"Wir sollen das Obst teilen.
Wird eins faul,
steckt es auch noch das andere an."

3.
Wenn ein Mann eine gute Frau hat
und zu einer anderen geht,
so heißt man ihn ein Schwein.
Wie konnte es jemals ärger kommen?
Er geht weg vom klaren Wasser
und legt sich in den trüben Pfuhl.
Viele Männer verhalten sich so.

4.
Ein Mann soll Ansehen und Achtung genießen;
er soll sich jedoch auch rechtzeitig
um sein Seelenheil kümmern,
damit ihn sein Übermut
nicht zu sehr auf Abwege bringt,
wenn er hier auf Erden Abschied nimmt,
damit ihm nicht der rechte Weg versperrt ist.

5.
Ein Bauer säte Korn,
doch es wollte nicht aufgehen.
Das erzürnte ihn.
Im nächsten Jahr hatte er vor,
es brach liegen zu lassen.
Man sollte demjenigen freiwillig geben,
was man ihm für seinen Dienst versprach.

Spervogel II

2.
Wan sol die jungen hunde lâzen zuo dem bern
und den rôten habech zem reiger,
welle, ers gern,
†und elliu ros zurstun slahen,†
mit linden wazzern hende twahen,
mit rehten triuwen minnen got,
und al die werlt wol êren,
und neme ze wîsem manne rât
und volge ouch sîner lêre.

4.
Ez zimt wol helden, daz si vrô nâch leide sîn.
kein ungelücke wart nie sô grôz, dâ waere bî
ein heil. des suln wir uns versehen.
uns mac wol vrome nâch schaden geschehen.
wir haben verlorn ein veigez guot.
vil stolzen helde, enruochet!
dar umbe suln wir niht verzagen.
ez wirt noch baz versuochet.

10.
Sô wê dir, armuot! dû benimest dem man
beide witze und ouch den sin,
daz er niht kan.
die vríunt getuont sîn lîhten rât,
swenne er des guotes niht enhât.
sie kêrent ime den rugge zuo
und grüezent in wol trâge.
die wîle daz er mit vollen lebet,
sô hât er []holde mâge.

16.
Swer den wolf ze hirten nimt,
der vât sîn schaden.
ein wîser man der sol sîn schif niht überladen.
daz ich iu sage, daz ist wâr:
swer sînem wîbe dur daz jâr
volget und er ir richiu kleit
über réhte mâze koufet,
dâ mac ein hôchvart von geschehen,
daz sîm ein stiefkint toufet.

2.
Man soll die jungen Hunde auf den Bären lassen,
und einen roten Habicht auf den Reiher werfen,
wenn er den Angriff wagt,
†und alte Rosse zum Gestüt schlagen,†
mit lindem Wasser die Hunde waschen,
mit rechtem Herzen lieben Gott
und alle Welt wohl ehren,
man hole bei weisem Manne Rat
und folge dann seiner Lehre.

4.
Es ziemt wohl Helden, nach Leid frohen Muts zu sein.
Kein Missgeschick war je so groß, dass nicht dabei
ein Glück gewesen: das wollen wir bedenken.
Uns mag wohl ein Gewinn auf Schaden folgen.
Wir haben ein zum Untergang bestimmtes Gut
verloren: ihr stolzen Helden, seid unbekümmert.
Deswegen wollen wir nicht verzagen;
es wird nochmals versucht.

10.
Weh dir, Armut! Du nimmst dem Mann
Klugheit und Verstand,
so dass er nichts mehr weiß.
Die Freunde kümmern sich nicht um ihn,
wenn er keinen Besitz mehr hat.
Sie drehen ihm den Rücke zu
und grüßen ihn kaum.
Solange er aber im vollen lebt,
hat er ergebene Verwandte.

16.
Wer den Wolf zum Hirten nimmt,
der holt sich Schaden.
Ein kluger Mann soll sein Schiff nicht überladen.
Was ich euch sage, das ist wahr:
Wenn jemand seiner Frau das Jahr
hindurch nachgibt und ihr
in übertriebener Weise kostbare Kleider kauft,
so kann daraus solche Hoffahrt werden,
dass sie ihm ein uneheliches Kind zur Taufe bringt.
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Wilhelm von Baumgarten
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Re: Texte und Dichter

Beitrag von Wilhelm von Baumgarten » Mo Aug 01, 2016 11:06 am

Der Stricker


Der Stricker war ein produktiver mittelhochdeutscher Dichter in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts.

Über seine Lebensumstände ist wenig bekannt, außer dass er vermutlich von niederer Herkunft aber umfassend gebildet war und sich seinen Lebensunterhalt als Wander- und Berufsdichter verdienen musste. Ob sein Name ein sprechender „Künstlername“ war, wie ihn viele Spruchdichter traditionell trugen, etwa in der Bedeutung „der Verse-Knüpfer“, oder ob es sich um einen Eigennamen handelt, ist umstritten. Sprachlich-dialektale Eigenheiten sprechen dafür, dass er aus dem südlichen Rheinfranken oder aus dem östlichen Franken stammte; seine dichterische Laufbahn zeigt ihn jedoch überwiegend in Österreich. Seine Werke dürften zwischen 1220 und 1250 entstanden sein.

Sein Werk umfasst unter anderem Groß- und Kleinformen der Epik aus verschiedenen Gattungen: die Überarbeitung des als formal und narrativ veraltet empfundenen Rolandslieds (Karl), einen höchst untypischen Artusroman (Daniel von dem blühenden Tal) und die neue Form der (lehrhaften oder komischen) Kurzerzählung, die als die eigentliche literarhistorische Leistung des Strickers gelten kann. Die Streiche seines Pfaffen Amis, Hauptgestalt der gleichnamigen Schwanksammlung, finden sich in späterer Zeit bei anderen literarischen Figuren, wie z. B. Till Eulenspiegel, wieder.
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Re: Texte und Dichter

Beitrag von Wilhelm von Baumgarten » Mo Aug 01, 2016 11:10 am

Der Hahn und die Perle


Vor einem stadele, dâ man drasch,
dâ gie ein han durch genasch
und warp als er kunde.
dô er kratzen begunde,
dô vant er in kurzer stunt
einen wol getânen vunt,
einen schoenen mergriezen.
»möhte ich din iht geniezen,«
sprach er wider sich selben dô,
»sô waere ich dîn harte vrô.
waere dir iemen zuo komen,
dem du möhtest gevromen,
dem waere wol mit dir geschehen.
nu hân ich kurzlîche gesehen,
daz ich enmac dîn
niht geniezen noch du mîn,
des bistu hie ze mir verlorn –
ich naeme vür dich ein haberkorn.«

der han gelîchet einem man,
der beidiu will unde kann
tumplîche werben
und waenet doch niht verderben.
kumt er den mergriezen an,
er lât in ligen als der han.

was sint die mergriezen?
diu wort, der wir niezen
gegen got und nâch êren.
beginnet man in lêren,
wie er werben solde,
ob er sich lieben wolde
beidiu gote und den liuten,
sô mac man imz diuten,
ê er sich dar an iht kêre.
des effet er sich sêre,
der den wîsheit lêret,
der sich an die rede niht kêret.

swer niht wîsheit wil pflegen,
vünde er si ligen an den wegen,
er möhte ir niht mêr geniezen
denne ouch der han des mergriezen.

Übersetzung
Vor einer Scheune, in der gedroschen wurde, stolzierte ein Hahn,
und bemühte sich nach Kräften,
Futter zu finden.
Als er scharrte, machte er
alsbald eine schöne Entdeckung,
er fand nämlich eine herrliche Perle.
»Wenn ich etwas mit dir anfangen könnte«,
sprach er zu sich selbst,
»so würde ich mich sehr über dich freuen.
Hätte dich jemand gefunden,
dem du nutzen könntest,
der würde dich gut verwenden.
Ich sehe aber deutlich,
dass wir beide nichts
miteinander anfangen können,
du bist umsonst bei mir –
statt deiner hätte ich lieber ein Haferkorn.«

Der Hahn gleicht jemanden,
der sich töricht verhält
und doch glaubt,
dabei nicht zugrunde zu gehen.
Stößt er auf eine Perle,
so lässt er sie wie der Hahn liegen.

Was bedeuten die Perlen?
Es sind die Worte, die wir an Gott richten
und mit denen wir nach Ehre streben.
Belehrt man jenen Menschen,
was er tun sollte,
um Gott und den Menschen zu gefallen,
so muss man es ihm erst erklären,
bevor er sich danach richtet.
Wer jemanden lehrt,
weise zu handeln,
der sich dann nicht daran hält,
der macht sich zum Narren.

Wer die Perle am Wege finden würde
und nicht weise sein möchte,
der könnte mit ihr nicht mehr anfangen
als der Hahn.
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Wilhelm von Baumgarten
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Re: Texte und Dichter

Beitrag von Wilhelm von Baumgarten » Mo Aug 01, 2016 11:23 am

Der Hase und der Löwe

Ist der hase alsô getân,
daz er lewen will bestân –
daz enheize ich niht vrümekeit:
ez ist ein gouchliche arebeit.
er ist mit dem tîvel behaft,
ob er bestêt solch überkraft,
dâ er niemer mac gesigen
und âne zwîvel tôt geligen.

swer sîne tage alsô gelebet,
der muoz ouch wider got wesen:
swenne des sêle sol genesen,
dâ kumet diu sêle kûmer zuo,
denne der hase vor dem lewen tuo.

Übersetzung

Einen Hasen, der gegen Löwen
kämpfen will –
das nenne ich nicht Tapferkeit:
es ist eine Narretei.
Wer gegen solche Übermacht,
bei der er niemals siegen kann
und ohne Zweifel getötet werden wird,
besteht, der ist vom Teufel besessen.

Wer sein Leben im Widerspruch gegen die
Ehre verbringt, der ist auch ein Gegner
Gottes: wenn dessen Seele errettet werden
soll, so wird dies schwieriger sein als der
Kampf des Hasen mit dem Löwen.


Der Hofhund

Ez was hie vor ein richer wirt:
swaz den gesten vröude birt,
des bôt er allez genuoc;
er schuof, swâ man sîn gewuoc,
daz er vil wol gelobet wart.
er het ouch einen hovewart,
der kunde wol überspringen:
des endorfte in niemen twingen,
dâ mit erwarp er sîn brôt.
swer im den arm dar bôt,
dar über spranc er sâ zehant –
des wart der hunt wol bekannt.

eines tages quam der geste vil,
dô muose er üeben sîn spil.
er spranc unz an die stunde,
daz er müeden begunde.
dône wolde er niht mêre springen,
dô begunde man in twingen.
dô in des einer betwanc,
daz er in überspranc,
sô twanc in ouch ein ander.
der meisterschefte vant er
sô vil, er verzagete
und in vil gar versagete
und durch niemen springen wolde,
swelch nôt er dar umbe dolde.

rehte alsô tuot ein milter man:
swie milte er immer werden kan,
will man sîn ze harte vâren,
in muoz diu milte swâren.
in bringet einer dâ zuo,
der in beide spâte und vruo
ze gîticlîche neisen will,
daz in muoz dunken ze vil
der gâbe und eines gîtecheit,
und im ze jungest gar verseit.
swie gerne er milte wære,
in machent die gîtegære
an guotem willen sô schart,
daz er tuost sam der hovewart,
den man ze springene twanc
sô lange, unz er durch niemen spranc.

Übersetzung

Einst lebte ein mächtiger Herr,
der bot den Gästen alles in Fülle,
was ihnen Freude machte.
Er hatte erreicht, dass er in den höchsten Tönen
gelobt wurde, wo man über ihn sprach.
Er besaß einen Hovawart,
der hohe Sprünge vollführen konnte:
niemand brauchte ihn dazu zu zwingen,
er verdiente damit sein Futter.
Hielt jemand ihm den Arm hin,
dann sprang er sofort darüber –
so wurde der Hund weithin berühmt.

Eines Tages trafen viele Gäste ein,
da musste er seine Kunst vorführen.
Er sprang so lange,
bis er müde wurde.
Als er nun nicht mehr springen wollte,
begann man ihn zu zwingen.
Als ihn einer gezwungen hatte,
seinen Arm zu überspringen,
da zwang ihn auch ein zweiter.
Dies geschah so oft,
dass er schließlich aufgab,
ihnen alles abschlug
und für niemanden mehr springen wollte,
wie man ihn deshalb auch quälte.

In derselben Weise
verhält sich ein freigebiger Mensch:
er mag noch so freigebig sein,
seine Freigebigkeit wird ihn verdrießen,
wenn man sich ihm zu sehr aufdrängt.
Wer ihn von früh bis spät aus Habgier
bedrängt, bringt ihn dazu,
seine Gabe und jenes Habgier
für zu groß zu halten und ihm
schließlich alles abzuschlagen.
Wenn er auch gerne freigebig wäre,
so verhärten die Habgierigen doch seinen
guten Willen so sehr, dass er sich am Ende
so verhält wie der Hovawart,
den man so lange zu springen zwang,
bis er für niemanden mehr sprang.
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Sterntaler
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Re: Texte und Dichter

Beitrag von Sterntaler » Do Sep 01, 2016 8:44 am

Hallo schöne Texte dabei. Hast du vielleicht einen Tipp, wo man ein wenig Mittelhochdeutsch lernen kann, damit man die Texte besser versteht?

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