Sie kämpften für die Freiheit: Schottlands größter Triumph
Kein historisches Ereignis bewegt diese Nation so wie die Schlacht von Bannockburn. Vor 700 Jahren führte König Robert seine numerisch unterlegenen Schotten zum Sieg gegen die englische Übermacht und letztlich in die Unabhängigkeit. Wie ein tragischer Reitunfall, ein Mord in einer Kirche und ein Patt zu diesem schicksalhaften Schlagabtausch führten. Und warum Schottland siegte.
21.06.2014 VON JÜRGEN STREIHAMMER (Die Presse)
Die Speerspitze der Schotten marschiert gegen die stechende Morgensonne des 24. Juni 1314 auf das Heer der Engländer zu. Doch dann halten sie an und fallen alle gleichzeitig auf die Knie. Wurden sie doch noch weich, die schottischen Knie – im Angesicht der Übermacht der Engländer? Edward II. beobachtet das Ritual aus der Ferne: „Oh, sie bitten um Gnade“, glaubt der englische König. „Ja, aber nicht vor Ihnen“, erwiderte ein Gefolgsmann. „Sie bitten um Gnade für ihre Sünden vor Gott.“ Und dann erheben sie sich wieder, die Schotten.
„Wenn es etwas gibt, was jeder Schotte weiß, dann ist es, wer die Schlacht von Bannockburn am 23. und 24. Juni 1314 gewonnen hat“, behauptet die britische BBC. Der Sieg des schottischen David gegen den englischen Goliath: Sie feiern und instrumentalisieren ihn noch heute. Nicht zufällig fällt das für September angesetzte Referendum über Schottlands Unabhängigkeit in das 700. Gedenkjahr. Die Erinnerung an die Schlacht von Bannockburn soll die Umfragewerte zugunsten der Nationalisten verschieben.
Ein Unfall. Eine stürmische, neblige Märznacht, 28 Jahre vor der großen Schlacht: Schottlands König Alexander III. stürzt auf einem Ritt zu seiner Gemahlin vom Pferd in den Tod. Und dann stirbt auch seine einzige Nachkommin, die siebenjährige Margarete, „Jungfrau von Norwegen“. Ein innerschottischer Streit um die Krone entbrennt. Und Englands listiger König Edward I. sieht in dem Machtvakuum eine historische Chance, Schottland zu unterwerfen.
Das Reich im Norden der Insel, das wird im Rückblick gern vergessen, gibt in jenen Tagen ein zerrissenes Bild ab. Der Adel schwört Englands König schließlich im Gerangel um Macht und Einfluss die Treue – darunter auch John Balliol, der durch die Vermittlung Edwards den schottischen Thron besteigt. Ein schwacher, gefügiger König. Ganz nach Englands Geschmack.
Nach und nach driftet dieses gespaltene Schottland in die Rolle des Vasallen Englands. 1294 fordert Edward I. die Schotten gar auf, für ihn in den Krieg gegen Frankreich zu ziehen – ein kalkulierter Affront. Die empörten Schotten zwingen König John in ein Bündnis mit Frankreich. Und Edward I. hat seinen Anlass. In einem grausamen Feldzug wirft er im Jahr 1296 Schottland nieder und den abtrünnigen König John in den Tower of London.
Was danach kommt, wird später für Hollywoods Popcornkino in „Braveheart“ verzerrt: William Wallace schreckt die Engländer mit seiner Guerillakampftaktik auf. Sogar in einer offenen Feldschlacht an der Stirling Bridge obsiegt der angeblich 1,96 Meter große Hüne, bevor sein Stern in Falkirk 1298 sinkt und er sieben Jahre nach der vernichtenden Niederlage den Engländern in die Hände fällt – Anklage wegen Hochverrats. „Ich habe dem englischen König nie die Treue geschworen“, verteidigt sich Wallace. Sie hängen ihn, nehmen ihn noch lebend vom Strick, um ihn auszuweiden und zu kastrieren. Vor Wallaces Augen verbrennen sie dessen Eingeweide. Dann enthaupten und vierteilen sie ihn. Wallaces Kopf wird als Mahnmal auf die London Bridge gesetzt.
Es sieht düster aus für Schottland. Bis zu diesem Mord: Robert aus dem mächtigen, den Thron beanspruchenden Haus Bruce ersticht angeblich im Streit seinen schärfsten schottischen Rivalen, John III. Comyn. In einer Kirche! Robert wechselte zuvor opportunistisch mehrmals die Seiten. Doch dieses Mal gibt es kein Zurück. Exkommuniziert und von Edward wegen des Aufruhrs gejagt, lässt sich Robert zum schottischen König krönen. Alles oder nichts.
Roberts Guerillakampf beginnt. Als Edward I. im Jahr 1307 stirbt, der „Hammer der Schotten“, wie sie ihn ehrfürchtig wie anklagend nennen, schlägt Roberts Stunde. Denn der englische Thronfolger Edward II. ist dem Papa in Hinblick auf Charisma, Kriegslist und Autorität unterlegen. Und Robert operiert nun, als hätte er Sun Tzus knapp 1900 Jahre zuvor im fernen China verfasstes Meisterwerk „Kunst des Krieges“ auswendig gelernt: die Kräfte nur nicht in Belagerungen erschöpfen, sondern ständig kleine Nadelstiche setzen, am besten dort, wo es der Gegner am wenigsten erwartet. Und dabei immer den Schein der Unverwundbarkeit wahren. So erobert er Burg um Burg. Selbst in nordenglische Dörfer fällt dieser Kriegerkönig ein. Immer mehr Schotten schließen sich ihm an. Die weniger wohlwollenden Adeligen macht er mit Gewalt und Terror gefügig.
Der König selbst hat schon viel verloren in diesem Freiheitskampf. Seine Tochter Marjorie haben die Engländer in ihrer Gewalt und auch die Schwester, die sie wie Vieh in einem Holzkäfig ausstellen. Drei von Roberts vier Brüdern haben die Engländer auf ähnlich bestialische Weise wie Wallace hingerichtet.
Und Roberts einziger verbliebener Bruder, Edward Bruce, belagert nun 1313 mit seinen Truppen die letzte strategisch bedeutsame Burg der Engländer: Stirling Castle. Angesichts des Patts schließt Edward mit dem Burgherrn, einem London treu ergebenen Schotten, ein Abkommen: Sollte nicht bis zum Mittsommer 1314 ein englisches Heer zur Befreiung der Burg erscheinen, fällt diese kampflos an die Schotten.
Natürlich würden die Engländer kommen. Endlich haben sie Gelegenheit, ihre numerische und technische Überlegenheit in einer offenen Feldschlacht auszuspielen. Südlich der Burg, wo sich ein kleiner Fluss (Burn) namens Bannock biegt, würden sie kämpfen. Und der König selbst wird das Heer ins Feld führen.
Und was für ein Heer. Mindestens 2000 schwer gerüstete Ritter werden auf ihren nicht minder furchteinflößenden Schlachtrossen angaloppieren, diesen Panzern des Mittelalters. Die schottische (leichte) Kavallerie besteht aus gerade einmal 500 Mann. Die meisten reiten auf Ponys. Und das Fußvolk: Die Quellen sind hier nicht eindeutig. Peter Reese schätzt im Buch „Bannockburn. Scotland's greatest victory“, dass bis zu 6500 schottische Krieger und 3000 Unterstützer, darunter unbewaffnete Frauen, bis zu 16.500 Engländern gegenüberstehen. So siegessicher sind die „Gäste“, dass sie bereits Möbel für die von König Edward II. versprochenen Besitztümer ihrer Gegner herankarren. Dabei sind die Truppen bei ihrer gerade noch rechtzeitigen Ankunft vor Beginn des Mittsommers völlig erschöpft. Und schon bald schwer demoralisiert.
Denn eine Vorhut der Kavallerie macht mit der stärksten Waffe der Schotten Bekanntschaft: dem Schiltron. Dabei formieren sich die Schotten mit ihren dreieinhalb Meter langen Spießen zu einem dichten Verteidigungswall oder wie an diesem Tag im Kreis – bereit, in alle Richtungen zu stechen. Die stolzen Ritter sind ohne die Unterstützung ihrer Bogenschützen machtlos gegen Fußsoldaten!
Das Duell. Der damals 39-jährige König Robert macht sich einstweilen unsterblich. Als er sich auf seinem Pony ein paar Meter zu weit von seinen Männern entfernt, erspäht ihn Sir Henry de Bohun. Was für eine Gelegenheit, mit einem Schlag die Schlacht zu entscheiden – und Ruhm und Ehre zu erlangen. De Bohun reitet auf Robert zu, wild entschlossen, seine Lanze in den König zu bohren. Im allerletzten Moment weicht Robert aus und spaltet De Bohun mit seiner Axt den Schädel. Das alles macht mächtig Eindruck auf die Engländer. Ein Überläufer reitet nachts in das Versteck der Schotten im Wald von New Park und berichtet von der Demoralisierung der Engländer: „They have lost their hearts.“ Bruce entscheidet sich in einer kurzen Mittsommernacht (gegen 3.45 Uhr setzt die Morgendämmerung ein), die offene Schlacht zu suchen.
Nach dem von Edward II. fehlgedeuteten Kniefall beginnt das Gemetzel. „Das war ein solcher Lärm, als die Waffen gegen Rüstungen schlugen und die Spieße krachend zerbrachen, und es gab ein Geschiebe und Gestoße, und von allen Seiten kamen Schreie und Stöhnen“, schreibt später der schottische Dichter John Barbour. Robert wählte das Terrain geschickt. Entweder kämpften sie im engen Sumpfgebiet zwischen den kleinen Flüssen Bannock und Pelstream. Oder südwestlich auf dem trockenen und gebrochenen Boden Dryfield vor dem Bannock. Der genaue Ort bleibt wohl für immer umstritten. In jedem Fall ist es buchstäblich kein guter Boden für Englands Kavallerie. Wieder sind die Schiltrons im Vorteil. Robert, dieser brillante Stratege, setzt seine kleine Kavallerie dafür ein, die Bogenschützen der Engländer zurückzudrängen. Den Rittern fehlt gegen die Spießträger die Unterstützung. Ihr König flieht. Rasch und panisch löst sich das Heer auf. Zurückgedrängt, ertrinken einige Engländer im Fluss.
„Nur für die Freiheit.“ Die Schotten haben ihren Sieg „against all odds“, also gegen jede Wahrscheinlichkeit, die Engländer sind de facto aus Schottland vertrieben. Formal stimmt erst Edward III. nach weiteren Schlachten 14 Jahre später der Unabhängigkeit zu. Doch schon Jahre zuvor gab Papst Johannes XXII. den Schotten seinen Segen – nachdem ihm diese die vor Pathos triefende Deklaration von Arbroath übermittelt hatten. Darin heißt es: „Solange auch nur einhundert von uns am Leben bleiben, wird man uns niemals, zu welchen Bedingungen auch immer, unter englische Herrschaft zwingen. Denn wir kämpfen nicht für Ruhm, nicht für Reichtümer oder Ehren, sondern wir kämpfen einzig für die Freiheit, die kein ehrenhafter Mann aufgibt, wenn nicht zugleich mit seinem Leben.“
ZEITTAFEL
1296. Englands König Edward I. besetzt in einem grausamen Feldzug das Königreich Schottland.
1298. Freiheitskämpfer William Wallace unterliegt in der Schlacht von Falkirk den Engländern. 1305 wird er hingerichtet.
1306. Robert the Bruce lässt sich zum schottischen König krönen.
1307. Edward I. stirbt.
23. und 24. Juni 1314. Robert besiegt ein größeres englisches Heer unter Führung von Edward II. in der Schlacht von Bannockburn.
1328. Edward III. stimmt Schottlands Unabhängigkeit zu.
1329. Schottlands König Robert stirbt.
1332 bis 1357. Zweiter schottischer Unabhängigkeitskrieg.
1707. Vereinigung der Königreiche England und Schottland, die seit 1603 in Personalunion miteinander verbunden sind.
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